Mittwoch, 6. Januar 2016

Weihnachten schmutziggraubraun. Es taut. Titus 3,4-7. Und ein Lied.

Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.
(Titus 3,4-7)

(c) pixabay.com

Dreaming of a white Christmas


Er hält sich hartnäckig, der Traum von einer weißen Weihnacht,
es soll wieder so sein, wie es früher eigentlich auch selten gewesen ist.
Leise rieselt der Schnee,
legt sich gnädig und verhüllend
wie eine weiche Decke
über die Welt mit ihren Rissen und Schlaglöchern,
über unser Leben mit seinen Ecken und Kanten,
soll das Schroffe zudecken und weichzeichnen,
das Hässliche verstecken
die Schritte dämpfen,
der Stadt den Glitzer der Unberührtheit schenken,
die sie sonst nicht hat.
Wir legen uns in den Schnee, wedeln mit Armen und Beinen,
stehen auf und zeigen auf den Boden und sagen:
Engel gibt es doch.


Amtlich: Weihnachten schmutziggraubraun


Am 15. Dezember war es so gut wie amtlich. Die Rheinische Post meldete:
"Genau kann man das jetzt noch nicht sagen, aber der Weihnachtstrend sieht so aus, dass es doch eher mild wird", sagt Maria Hafenrichter vom Deutschen Wetterdienst. Mit Niederschlägen dürfe zwar gerechnet werden – allerdings in Form von Wasser. Schnee und Frost seien nicht in Sicht. Das Weihnachtswetter liegt laut Expertin bei rund zehn Grad.“

Heute wissen wir: Die Wetterpropheten hatten recht.
Kein Schnee, der leise rieselt, der See liegt nicht still und starr, sondern kräuselt sich unter herbstwarmem Regen und gänzlich unweihnachtlichen Windböen, und die Wupper fließt sowieso ungerührt weiter. Weihnachten in Wuppertal 2015 ist nicht weiß.

Die erste Weihnacht in Bethlehem war auch nicht weiß. Müsste man ihr eine Farbe geben, wäre sie vielleicht
schmutziggraubraun:
Holzbretter,
Lehmboden,
staubiges Stroh,
ungefärbtes grobes Leinen,
ungewaschenes Schaffell,
eingetrocknetes Blut.
Und mittendrin: Der Retter der Welt.
Der König kommt in niedern Hüllen.

(c) pixabay.com

Klimatische Gebetserhörung


Vielleicht sind wir es ja selbst schuld. Die Erde fiebert unter den Händen der Menschen, das Klima wandelt sich, und die Sonne blickt böse. Vielleicht sind wir es aber auch selbst schuld, weil unsere Gebete erhört wurden – all unsere Gesänge der letzten Wochen, vom Tau und Regen– „o Heiland, reiß die Himmel auf, o Herr, ein Tau auf Erden“, „Tauet, Himmel, den Gerechten...“ 
So wie damals, als es zum ersten Mal Weihnachten wurde, als erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes. Als der Himmel offen stand, Engel die Erde besuchten, die Sterne ihren Lauf änderten und der erste Schrei eines neugeborenen Kindes eine neue Zeitrechnung ausrief. Und es taute.
Die Welt war schmutziggraubraun,
aber Gefrorenes schmolz,
Festes wurde weich.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und Gottes Wort wird nicht leer zu ihm zurückkehren,
sondern es wird ihm gelingen, wozu er ihn sendet.

Die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes kommt nicht leise und sanft wie der Schnee, sondern nass und ungestüm wie der feuchte Schmatzer eines kleinen Kindes, wie ein Regenguss nach langer Dürre. Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln! Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen, heißt es in Psalm 84. Wie ein Wolkenbruch überzieht sie die Welt, sucht sich einen Weg durch Ritzen und Löcher und wird zum Bad der Wiedergeburt und Erneuerung, in dem alte Verkrustungen abgewaschen werden und das neue Leben begossen wird.
Möglich, dass das im ersten Moment erschreckend wirkt, unweihnachtlich auf jeden Fall.
Denn wie die platzregende Gnade Gottes Menschen mitreißt, kann sie auch einreißen und wegschwemmen.
In der Bibel erschrecken die Menschen immer wieder, wenn Gott plötzlich auf den Plan tritt – ähnlich wie die Hirten in der Weihnachtsgeschichte. Denn wo Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe die Erde tränken, so ungestüm, undosiert und vorbehaltlos – da erscheint auch vieles, was wir als Zeichen der Freundlichkeit und Menschenliebe deuten, plötzlich dürr und morsch wie ein Haus, dessen Fundamente vom Regen ausgehöhlt werden. Wo der Schnee zudeckt, wo die starken Bilder von Weihnachten, unsere Sehnsüchte von einer heilen Welt, die wir mit unseren Mitteln zumindest an Heiligabend unter dem Lichterbaum herzustellen versuchen, die Schroffe der Welt verstecken und weichzeichnen sollen, da reißt Gottes Weihnacht wie ein Monsun das um, was auf Sand gebaut ist – aber schafft damit eben auch Raum für neues, gesundes, tragfähiges Leben.
Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit
Im Großen ist das vor fünfhundert Jahren geschehen, als Martin Luther und mit ihm viele andere die Freundlichkeit und Menschenliebe in den Worten der Bibel neu fanden und sich in der Folge von vielen Praktiken ihrer Kirche, die handgemachtes Heil versprachen, trennten. Im Kleinen geschieht das überall dort, wo Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe Menschen dazu befähigt, aus religiösen oder gesellschaftlichen Zwängen auszubrechen.
Die Welt war schmutziggraubraun,
denn es taute:
Gefrorenes schmolz,
Festes wurde weich.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und Gottes Wort wird nicht leer zu ihm zurückkehren,
sondern es wird ihm gelingen, wozu er ihn sendet.

Sie waren von Karlsruhe nach Oberfranken gekommen. Nach einem Ausflug suchte das Paar schließlich nach einem Lokal - und fand einen alten Gasthof. Dort ließen sich die beiden Touristen bedienen, es gab Brot, Marmelade, Eier, Käse und Tee. Dann verlangte der Mann nach der Rechnung, doch die bekam er nicht. Denn die vermeintlichen Köche und Kellner waren Flüchtlinge, und das Restaurant in Wahrheit ein Asylbewerberheim.
So erfuhren die Gäste erst nach der Mahlzeit, dass sie in keinem Restaurant gelandet waren: Das ehemalige Wirtshaus im oberfränkischen Zapfendorf ist längst außer Betrieb, seit Monaten leben dort Migranten aus Krisengebieten. Einer davon bediente das Paar trotzdem. "Ich sagte: Kommen Sie herein, machen Sie es sich bequem, fühlen Sie sich wie zu Hause", sagte Kawa Suliman nun über die Szene.
Die 68 Jahre alte Frau sagte dem "Fränkischen Tag", sie hätten geglaubt, die Flüchtlingsunterkunft sei noch immer eine Wirtschaft. "Der junge Mann, der nach unseren Wünschen fragte, war so nett - so nette junge Gastronomen muss man doch unterstützen." Die Asylbewerber um den 30-jährigen Kawa Suliman reagierten spontan. "Wir stellten den Tisch voller Essen", sagte Suliman. Als sich herausstellte, dass das hungrige Paar in einer Flüchtlingsunterkunft gelandet war, sei sie zu Tränen gerührt gewesen, sagte die Frau. (SPON)

Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, machte er uns selig.  Und die Welt ist schmutziggraubraun, und es taut. Gefrorenes schmilzt, Festes wird weich. Und Gottes Wort wird nicht leer zu ihm zurückkommen, und ihm wird gelingen, wozu er es sendet. Heute wissen wir: Die Propheten hatten recht. Und Engel gibt es doch.

„Herr“, fragt ein zeitgenössischer Dichter,
„es regnet, was 
soll man tun
und seine antwort wächst
grün durch alle fenster ...“

Liebe Gemeinde,
er hält sich hartnäckig, der Traum von einer weißen Weihnacht,
es soll wieder so sein, wie es früher eigentlich auch selten gewesen ist.
Leise rieselt der Schnee,
legt sich gnädig und verhüllend
wie eine weiche Decke
über die Welt mit ihren Rissen und Schlaglöchern,
über unser Leben mit seinen Ecken und Kanten.

Aber das erste Weihnachten in Bethlehem war nicht weiß, und auch Weihnachten in Wuppertal 2015 ist nicht weiß. Müsste man ihm eine Farbe geben, wäre sie vielleicht schmutziggraubraun: Nasser Asphalt, Matschflecken auf Wiesen und Wegen, Hundehaufen, aufgeweichtes Altpapier. Schmutziggraubraun, aber auch: Ein bisschen grün. Der König kommt in niedern Hüllen. Gott sei Dank.

Amen.



1 Kommentar:

  1. Die eingebettete Geschichte mit dem Gasthof hat mich besonders berührt.

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