Zu den spannendsten Projekten, bei denen ich am Kirchentag mitmachen konnte, gehörte die abendliche Performance Berlin - Die Sinfonie der Großstadt, mit der der Liturgische Tag: Großstadt in der Parochialkirche in Mitte endete. Im Zentrum stand der gleichnamige Stummfilm von Walther Ruttmann aus dem Jahr 1927, der auf einer Leinwand in dieser großartigen Kirche gezeigt wurde. Dazu gab es Livemusik am Klavier, die sich auf den Originalsoundtrack von Edmund Meisel bezog und das Geschehen auf der Leinwand kommentierte und voranbrachte. Da der Film in fünf Akte aufgeteilt ist, gab es sinnvolle dramaturgische Zäsuren, an denen ich mit mehr oder weniger poetischen Texten einhaken konnte. Der Arbeitsauftrag war, theologische Dimensionen freizulegen oder, zumindest habe ich es mir so zurechtgebogen, Gott da irgendwie inmitten der Bilder zu finden und/oder reinzumalen.
Kleine Leseanweisung: Den Meisel-Score gibt es meines Wissens nicht einfach so in diesem Internet, von daher geht eine Dimension unweigerlich verloren. Man kann sich etwas Atonales, Bildreiches dazu denken. Und dann den Film bis zum Ende des I. Aktes (das Video sagt einem, wann es soweit ist) gucken und unten weiterlesen.
AUTO-EROTIK UND INDUSTRIEPORNO
Langsam und methodisch arbeitet er sich vor.
Der Handschuh aus Lammfell gleitet über perfekte Rundungen,
mit sanftem Druck in kreisenden Bewegungen
massiert er jeden Quadratzentimeter
pustet in den sich bildenden Schaum
- schneeweiß, verspielt sich auftürmend -
ahnt diesen ganz besonderen Duft
mehr als er ihn riecht
Lack und Leder und warmes Wachs
massiert hier und dort noch ein bisschen extra
nicht weil er müsste,
sondern weil es sich so gut anfühlt
nimmt einen Schwamm und taucht ihn in warmes Wasser
lässt ihn sich vollsaugen und wringt ihn aus
und sieht, wie Wassertropfen abperlen
und langsam die perfekten Rundungen hinabgleiten
und sich auf dem Boden sammeln.
Und seine Frau hängt die Wäsche auf
und beobachtet ihn und wünscht sich,
er würde sie einmal so zärtlich berühren
an allen möglichen und unmöglichen Stellen
so liebevoll ansehen
wie sein Auto bei der Wäsche.
Und der Kameramann
lässt sein Linsenauge durch die Maschinenhalle gleiten
über blank poliertes Kupfer
und glänzenden Stahl
im Licht der Morgensonne
fängt die gleichmäßige Stoßbewegungen ein
perfekte Kurven und Wellen
eisenharte Arme mit geölten Scharnieren
kraftvoll zupackende Hände mit eisernen Greifern
Zahnräder, deren Zacken sich vereinen und wieder trennen
und laufen und laufen und laufen
und es wird gehobelt und gestoßen
und gehoben und geschoben
unter hydraulischem Stöhnen und Pulsieren
und ein Schwall weißer Milch ergießt sich
in hochdruckgereinigte Flaschen aus Glas
und füllt sie bis zum Rand
und die Maschinen bewegen sich wie von Zauberhand
Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.
Früher bauten die Menschen noch Türme
deren Spitze bis in den Himmel reichen sollten
um sich Denkmäler zu setzen und einen Namen zu machen
doch der Herr fuhr hernieder und schuf das erste Weltwunder,
babylonisches Sprachgewirr.
Dann bauten die Menschen Kathedralen
deren Spitzen bis in den Himmel reichen sollten
um dem Ewigen näher zu kommen,
doch der hatte schon längst den Abstieg gewählt
und mischte sich unters Volk
und verwirrte die Sprache
und die Gebete klangen wie Hokuspokus
und die Predigten wie tönendes Erz und klingende Schellen.
Dann ließ man die Kirche im Dorf
und baute in den Städten
noch höher höher als alle Tumkreuze und Wetterhähne
ragen die Fabrikschlote in den Himmel
und wo sie die Wolken nicht berühren,
spucken sie selber welche aus,
wattigweiß wie die verlorene Unschuld.
Die Fabrikglocke schrillt
und ruft zum Schicht-, statt zum Gottesdienst.
Non ora, sed labora
der Vorbeter weicht dem Vorarbeiter,
das Pfeifen und Dröhnen der Maschinen,
das Brausen des Fließbands
ist lauter als die größte Orgel der Welt
ein geseufztes Kyrie eleison,
ein unausgesprochenes Stoßgebet
wenn der Rücken steif geworden ist
wenn der Vorarbeiter seinen Zigarettenatem
in den Nacken der Näherin bläst
die Fürbitte ist was für die Mutigen,
wenn der Chef wieder eine Predigt hält
über Produktionssteigerung und Arbeitsmoral
und den Lehrling am Ohr zieht.
Nimm hin und iss
statt Oblaten aus der silbernen Patene
Kartoffelstampf aus einem abgestoßenen Henkelmann Butterbrot aus rostiger Büchse,
ein Schluck gestreckter Kaffee aus der Thermoskanne
Und am Ende des Tages:
Ite, missa est,
morgen geht es weiter von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Und der Herr fuhr hernieder zur Erde und
verwirrte die Sprache der Menschen
dass sie von Humankapital sprachen statt von Menschen
und statt von Gottesurteilen von betriebsbedingten Kündigungen
und statt von Ferien von vorlesungsfreier Zeit
Die Menschen bauten weiter Bankenhäuser,
die an den Wolken kratzen
und den, der im Himmel wohnt,
unter den Füßen kitzeln
und der im Himmel wohnt, lacht ihrer
zumindest am Anfang,
und dann nervt es
und er seufzt
und fährt wieder hernieder
und verwirrt ihre Sprache
und die Menschen hören nicht auf einander nicht zu verstehen.
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