ANFÄNGLICHE ÜBERLEGUNGEN
Am Anfang stand das Stadtkindsein. Und die Erkenntnis, dass es wenig Sinn ergibt, für einen Tag im Jahr Strohballen zu mieten, nur um wenigstens eine Andeutung der Hochstimmung herzuzaubern, in denen in ländlichen Gebieten mit noch echten Bauern und Feldern und so der Erntedankgottesdienst mit großem Besteck und pomp and circumstances begangen wird. Am Anfang stand also die Frage, wie man Erntedank mit einer Gemeinde feiern kann, in der Saat und Ernte außer bei Geranien keinen wirklichen Sitz im Leben mehr hat und man also auf umfangreiche und z. T. intellektuell recht anspruchsvolle Transferleistungen vertrauen muss. Philipp Beyhl schreibt dazu in seiner Dissertation von 2007: "Es bleibt ein unmögliches Fest, wenn es als Modifikation alter Ernte- oder vergangener Erntedankfeste verstanden wird". Auswege hieraus bietet sicherlich Brot für die Welt, wo jedes Jahr kluge und vielseitige Arbeitshilfen und Gottesdienstentwürfe herausgegeben werden - die aber bei uns in der Gemeinde schon in einer Kirche gut umgesetzt werden.
Am Anfang stand auch Thanksgiving. Genauer gesagt, die Abschlussszene aus dem schlimm-großartigen Film Latter Days von C. Jay Cox, in dem es um das Coming-Out eines jungen Mormonenmissionars geht. Am Ende laufen die Fäden zusammen, und je öfter ich die Szene sehe, desto mehr entdecke ich Dinge, bei denen ich denke: So stelle ich mir Kirche vor, so soll Gemeinde sein.
A toast, an affirmation, a prayer of thanks. I want you to know that, wherever we find ourselves in this world, whatever our successes or failures, come this time of year, you will always have a place of my table. And a place in my heart.
Überhaupt, Jacqueline Bisset alias Lila Montagne würde eine ziemlich gute Pfarrerin abgeben. Die Schlussszene kann man übrigens hier angucken.
Am Anfang stand auch ein Gemeindeprojekt, das Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, Herkünfte und Milieuzugehörigkeit ein anderes Verhältnis zum Säen und Ernten beschert hat: Der Gemeinschaftsgarten Uellendahl, über den Stadtteil verteilte Hochbeete, die von Grundschulklassen, KiTa-Gruppen, Konfis mit Seniorinnen und Geflüchteten bewirtschaftet werden. Am Anfang war auch mal die Idee, draußen rund um die Beete zu feiern - aber in Wuppertal sind die Wetteraussichten im Frühherbst dann doch alles andere als sonnig...
DIE IDEE
Aus diesen Anfängen, und den übergeordneten Zielen, den Abend als gottesdienstliche Zeit zurückzuerobern und nochmal neu über das Abendmahl nachzudenken, entstand die Idee, im Gottesdienst aus den Ernteerträgen der letzten Saison etwas zu kochen. Und wenn schon, dann natürlich auf dem Altar Abendmahlstisch. Die Idee ist nicht neu, Thomas und Gabi Erne haben das u. a. 2012 schon einmal gemacht, aber wir wollten es ein bisschen weniger ostentativ haben, als es schnittbedingt im Video den Anschein hat: Das Kochen sollte ein natürlicher Teil des Gottesdienstes sein - gleichzeitig ging es natürlich auch, in bester Kirchentagstradition, um den "Ruf in die Gemeinschaft der Christinnen und Christen mit Christus, das Gedächtnis an sein Leben und Wirken für uns, die Vergebung von Schuld, de[n] Ruf zur Einheit, die körperliche Wahrnehmung mit allen Sinnen, die Heiligung des alltäglichen Essens und Trinkens, die Gegenwart des Auferstandenen unter uns, de[n] Blick in das Reich Gottes". Wir wollten dabei keinen ausdrücklichen Abendmahlsgottesdienst feiern - aber unter diesen Vorzeichen verschwimmen die Grenzen ohnehin. Die theologische Fachliteratur zum Thema "Essen und Glauben" ist, zumal im englischsprachigen Bereich, enorm breit gefächert - an dieser Stelle sei exemplarisch das wunderbare Buch "The Theology of Food. Eating and the Eucharist" von Angel F. Méndez Montoya (Hoboken NJ u. a. 2009) empfohlen - schon allein deswegen, weil der Verfasser öfters schon einmal in Wuppertal zu Gast war.
Also haben wir zu einem Koch-und-Ess-Gottesdienst am Samstag vor Erntedank eingeladen und über die verschiedenen Kanäle um Zutatenspenden gebeten - vorzugsweise Selbstgezogenes oder -geerntetes. In beiden Jahren kam jeweils genug zusammen. Beim ersten Versuch vor einem Jahr gehörte der Samstag den Konfis, mit ihnen haben wir das bewährte Abendmahlsbrot gebacken. Das hatte den Vorteil, dass die Konfis, die dann auch im Gottesdienst waren, sich sehr schnell als Gastgeber_innen verstanden haben. Dieses Jahr hatten wir nochmal eigens zum vorbereitenden Schnibbeln eine Stunde vor Beginn eingeladen. Einerseits aus Gründen der Arbeitsökonomie, andererseits machen wir auch die Erfahrung, dass die praktische Mithilfe vor allem in der Küche für viele eine Möglichkeit des (Wieder-)Einstiegs in das Gemeindeleben bietet. Wenn das Format erst einmal ein bisschen routinierter geworden ist, könnte man darüber nachdenken, diese Punkt auch nochmal religionspädagogisch zu unterfüttern, z. B. mit Gesprächsanregungen, Geschichten oder kleinen Inputs zu den jeweiligen Lebensmitteln oder zum Thema "Essen und Glauben".
Vielleicht vor dem Ablauf nochmal kurz etwas zum Setting: In der Kirche sind Esstische für jeweils 7-8 Personen aufgestellt und eingedeckt, inkl. einer Suppenterrine. Auf einem niedrigeren Tisch vor dem Abendmahlstisch (oben drauf zu kochen wäre wegen der Höhe arbeitssicherheitsmäßig problematisch) steht ein großer Topf mit Gemüsebrühe auf einer Induktionsplatte, daneben oder drum herum die vorbereiteten Zutaten - die Deko wird also fast komplett verwendet. Während der Lieder kommen die Zutaten je nach Garzeit in die Suppe; hier kann man gut Kinder beteiligen. In der Küche wartet außerdem ein weiterer vorbereiteter Topf - nach unseren Erfahrungen braucht man für 40 Leute zwei randvolle 10-Liter-Töpfe Suppe. Wenn es ans Essen geht, kommt von jedem Tisch eine Person mit der Terrine nach vorn - allein das ist ein zutiefst rührender und theologisch sehr stimmiger Anblick: Die Leute kommen zum Altar, um satt zu werden. Das Brot wird von den Konfis ausgeteilt.
Es gibt noch einige andere interaktive Elemente, hier erstmal der Ablauf:
Also haben wir zu einem Koch-und-Ess-Gottesdienst am Samstag vor Erntedank eingeladen und über die verschiedenen Kanäle um Zutatenspenden gebeten - vorzugsweise Selbstgezogenes oder -geerntetes. In beiden Jahren kam jeweils genug zusammen. Beim ersten Versuch vor einem Jahr gehörte der Samstag den Konfis, mit ihnen haben wir das bewährte Abendmahlsbrot gebacken. Das hatte den Vorteil, dass die Konfis, die dann auch im Gottesdienst waren, sich sehr schnell als Gastgeber_innen verstanden haben. Dieses Jahr hatten wir nochmal eigens zum vorbereitenden Schnibbeln eine Stunde vor Beginn eingeladen. Einerseits aus Gründen der Arbeitsökonomie, andererseits machen wir auch die Erfahrung, dass die praktische Mithilfe vor allem in der Küche für viele eine Möglichkeit des (Wieder-)Einstiegs in das Gemeindeleben bietet. Wenn das Format erst einmal ein bisschen routinierter geworden ist, könnte man darüber nachdenken, diese Punkt auch nochmal religionspädagogisch zu unterfüttern, z. B. mit Gesprächsanregungen, Geschichten oder kleinen Inputs zu den jeweiligen Lebensmitteln oder zum Thema "Essen und Glauben".
Vielleicht vor dem Ablauf nochmal kurz etwas zum Setting: In der Kirche sind Esstische für jeweils 7-8 Personen aufgestellt und eingedeckt, inkl. einer Suppenterrine. Auf einem niedrigeren Tisch vor dem Abendmahlstisch (oben drauf zu kochen wäre wegen der Höhe arbeitssicherheitsmäßig problematisch) steht ein großer Topf mit Gemüsebrühe auf einer Induktionsplatte, daneben oder drum herum die vorbereiteten Zutaten - die Deko wird also fast komplett verwendet. Während der Lieder kommen die Zutaten je nach Garzeit in die Suppe; hier kann man gut Kinder beteiligen. In der Küche wartet außerdem ein weiterer vorbereiteter Topf - nach unseren Erfahrungen braucht man für 40 Leute zwei randvolle 10-Liter-Töpfe Suppe. Wenn es ans Essen geht, kommt von jedem Tisch eine Person mit der Terrine nach vorn - allein das ist ein zutiefst rührender und theologisch sehr stimmiger Anblick: Die Leute kommen zum Altar, um satt zu werden. Das Brot wird von den Konfis ausgeteilt.
Es gibt noch einige andere interaktive Elemente, hier erstmal der Ablauf:
DER ABLAUF
- Musik zum Eingang (fängt schon 5 Minuten vor Beginn an
- Begrüßung und entfaltetes Votum, dabei strophenweise Lied: "Du bist da, wo Menschen leben/lieben/hoffen"; währenddessen: Kerzen auf den Tischen anzünden
- Eingangsgebet (ist auf dem Liedblatt abgedruckt und wird von einer/einem Freiwilligen gelesen)
- Lied
- Lesung
- Lied
- Predigt
- Meditative Reflexion
- Lied
- Fürbitte/Sharing, dazwischen Liedstrophe
- Unser Vater
- Essen (nach 30 Minuten mal checken, wie weit die Leute sind)
- Kurzes Dankgebet
- ggf. Abkündigungen
- Lied
- Segen
- Musik
Meditative Reflexion: Die Predigt endet mit einer Frage. Letztes Jahr, als es um das Säen und Ernten ging, mit der Frage: "Für welche Ernte bin ich dankbar? Welche steht noch aus? Um welche Saat, die noch nicht aufgegangen ist, trauere ich?" Dieses Jahr, wo es um Menschen ging, von denen man etwas über das Leben und/oder den Glauben gelernt hat: "Was habe ich über Leben und Glauben gelernt? Wem bin ich dafür dankbar? Was habe ich selbst weiterzugeben?"
Nebenbei: Das gottesdienstliche Aufschreiben von Dingen auf Zettel ist in den letzten Jahren in der Liturgiewissenschaft ein bisschen in Ungnade gefallen. Wir machen aber in der Gemeinde durchgehend die Erfahrung, dass Menschen ein Bedürfnis haben, etwas dazulassen und etwas weiterzugeben - allen voran die Generation der Ü70er, die so oft als Argument für traditionelle Gottesdienstgestaltung herhalten müssen. Im Kern geht es uns dabei außerdem in die Führung zum Gebet und damit um liturgisches Lernen:
Sharing: Auf dem Liedblatt steht die lapidare Anweisung: "Wer mag, liest etwas von seinem Zettel vor. Etwas, wofür wir danken. Etwas, worum wir bitten. Niemand muss. Aber wir beten gern. Dazwischen singen wir..." Zwei Handmikros werden zu diesem Zweck an den Tischen rumgereicht. Das klappt überraschend gut, je nach Fragestellung verschwimmen die Redeintentionen ein bisschen zwischen Mitteilung und Gebet, aber die Erfahrung ist, dass die Gemeinde das gut aushalten und mittragen und gestalten kann.
ZU BEACHTEN
Nach zwei Versuchen ist es noch etwas früh, um hier handfeste Tipps zu geben. Aber ein paar Hinweise, wo wir selbst nachbessern wollen bzw. es nach dem ersten Gottesdienst schon getan haben:
Das veränderte räumliche Setting bringt es mit sich, dass der_die liturgisch Verantwortliche und/oder Predigende seinen/ihren Platz neu suchen muss. Möglich ist, etwa die Predigt im Stehen am Platz zu halten - das setzt aber voraus, dass man nicht mit dem Rücken zu einigen Tischen steht. Andere Dinge funktionieren im Sitzen, etwa (in gut reformierter Tradition) die Gebete.
Moderative Ansagen müssen klar sein, damit die Gemeinde sich in dem fremden Ablauf und dem ungewohnten Setting leicht zurecht findet. Die unterschiedlichen Elemente des Gottesdienstes müssen zusammen gehalten werden, das setzt einiges an Vorüberlegen und eventuell auch an Ausprobieren voraus. Insbesondere beim Sharing muss die Ansage klar sein: Alle dürfen, niemand muss, es ist aber schon schön, wenn ein paar sich laut äußern. Das kennt unsere Gottesdienstgemeinde vom Bibliolog, ein bisschen Vorerfahrung mit dem Mit-Teilen eigener Sichtweisen und Erfahrungen ist also auf jeden Fall von Vorteil.
Die Technik muss vorher klar sein. Beim ersten Mal haben wir eine Viertelstunde rumprobiert, bis uns aufgefallen war, dass irgendjemand den ursprünglich bereitstehenden Topf gegen nicht-induktionsfähiges Kochgeschirr ausgetauscht hatte. Im Zweifelsfall: Magnet bereithalten, um das schnell kontrollieren zu können. Wenn man den richtigen Topf hat, reicht die Zeit auf jeden Fall, um die Zutaten weichzukochen. Es ist aber sinnvoll, jemanden auszugucken, der_die die Verantwortung für den Kochvorgang hat, damit man nicht während der Predigt die ganze Zeit zum Kochtopf schielen muss.
Die Hilfstruppe beim vorbereitenden Schnibbeln braucht, wenn es sich hier nicht um ganz alte Hasen handelt, die sich in der Gemeindeküche zuhause fühlen und die Arbeitsabläufe kennen, irgendjemanden, der_die sie anleitet und neben den Aufgaben auch die Zeit im Blick hat. Das kann auch eine Möglichkeit sein, engagierte Gemeindeglieder an das Thema "Leitung" heranzuführen und ausprobieren zu lassen.
Das Kochen in der Kirche wurde von der Gemeinde durchgehend als sehr schön und stimmig und "richtig" empfunden - es kann aber Gemeinden geben, denen der Kirchraum insgesamt, vor allem aber der Altarraum heilig ist. Bei uns ist der Anblick von Tischen in der Kirche zwar nicht die Regel, aber auch nichts komplett Unbekanntes, außerdem übernachten alle Nase lang Konfis oder Kindergruppen in der Kirche. Wo der zu erwartende Widerstand gegen das Kochen in der Kirche so groß ist, dass man die ganze Zeit (und sei es unterschwellig) nur mit Apologetik beschäftigt ist, sollte man gut überlegen, ob man diese Gottesdienstform ausprobieren will bzw. ob das wirklich das ist, was die Gemeinde will oder braucht. Ähnliches gilt, wenn die Bestuhlung nicht flexibel genug ist - da wird es schnell zum Showkochen, und das sollte es zumindest nach unserem Konzept nicht sein.
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