Donnerstag, 23. Mai 2013

İntegrasyon? Asimilasyon? Hauptsache Kuchen!

Einheimische kennen sie als die Straße, durch die man besser nicht versucht, mit dem Auto durchzukommen, wenn man es eilig hat. Insider wissen, dass es hier einige der besten türkischen Restaurants gibt. Und der Bundesdurchschnitt kennt sie vielleicht von den traurigen Schlagzeilen über das Nagelbombenattentat im Juni 2004: Die Keupstraße in Köln-Mülheim. In meiner Kindheit eine Straße weiter galt sie noch als einer der rechtsrheinischen Hauptumschlagsplätze für Drogen jeglichen Härtegrads, im Laufe der Zeit hat sie sich jedoch gemausert und lohnt allemal einen Besuch. Vor allem dann, wenn man, wie ich, überdurchschnittlich an Wassermelonen interessiert ist. Denn die kann man dort ganz besonders gut kaufen, man wird besser beraten als beim deutschen Supermarkt um die Ecke, darf meistens sogar probieren - und vor allem: Sie sind weitaus größer. 

Aber um Wassermelonen geht es gar nicht. Heute mal nicht. Lange Zeit galt die Keupstraße in Köln als trauriges und chaotisches Mahnmal für misslungene Integration, für das Scheitern des Traums von einer multikulturellen Gesellschaft und für Segregation und undurchsichtige Parallelkültür.

Das ist jedoch offensichtlich nicht die ganze Wahrheit: Neulich schlendere ich durch die Keupstraße, tapfer, Meter um Meter gegen meinen knurrenden Magen ankämpfend, der bei jedem Schaufenster, hinter dem fetttriefende Dönerspieße anmutige Pirouetten drehen, hüpft und ruft: "Halt, hier rein!" Und komme an einer Bäckerei vorbei, in deren Auslage ich an die vierzig verschiedene Gebäcksorten zähle und auch die jahreszeitüblichen, mehr oder weniger geschmackvoll dekorierten Torten entdecke. Und stutze. Denn neben Kalorienmonstern, deren knallblaue Aufschrift jüngst zum Manne gemachten Jungs zur Beschneidung oder Galatasaray zum Sieg gratuliert, stehen auch solche mit Glückwünschen zur "Heiligen (!) Taufe" und zur Kommunion. Mit Kreuz und allem Drum und Dran.

Ich gehe ein bisschen näher an das Fenster heran und entdecke noch ein kleines, aber faszinierendes Detail: Zwischen diversen Plastikbrautpaaren, also diesen Figürchen, die immer auf Hochzeitstorten ganz oben stehen und für herzliches Gelächter sorgen, wenn beim Anschneiden Braut oder Bräutigam mit dem Gesicht nach vorn in die Buttercreme kippen, stehen auch zwei Bräute Händchen haltend nebeneinander. In der trendigen Tortenbäckerei in der Innenstadt, an der ich nur ein paar Stunden zuvor vorbeigegangen bin, gab es sowas nicht. Und in den (handwerklich ansonsten tadellosen) Kuchenmanufakturen bei uns am Stadtrand sowieso nicht. Derart ausgefallene Sonderwünsche müsse man lange im Voraus bestellen und natürlich, wenn sie denn überhaupt zu erfüllen gingen, extra bezahlen, erklärte neulich eine resolute Bäckereifachverkäuferin auf meine neugierige Nachfrage. Und Aufschriften auf Türkisch gingen auch nicht, da könnte man ja wer-weiß-was draufschreiben lassen.

Mir jedenfalls gefallen solche unaufgeregten Statements wie das im Bäckereischaufenster in der Keupstraße. Ich weiß natürlich, dass diese Art von Toleranz nicht repräsentativ für alle konservativen Milieus jedweder Bevölkerungsgruppe mit Migrationshintergrund ist. Aber: Es sind eben Statements, die das Nebeneinander verschiedener Lebensläufe buchstäblich en passant schaufenster- und salonfähig machen. Das ist wichtig in Zeiten, in denen Einzeläußerungen türkischer Politiker über die Kreuze in deutschen Gerichtssälen hysterisch aufgeblasen werden. Und in denen die im Kern menschen- und christusfeindlich agierenden und argumentierenden Vertreter der nordrhein-westfälischen Pro-Bewegung beim CSD mitlaufen wollen, um über das mit wenigen Pinselstrichen zusammengeschmierte Feindbild eines homophoben Islams ein paar rosa-braune Wählerstimmen abzugreifen.

Weil ich die stillen Statements dagegen unterstützen möchte, und weil Kalorienzählen nicht alles ist, erinnere ich mich an das zwar nicht biblische, aber doch sehr weise Wort, dass ein Leben ohne Kuchen zwar möglich, aber sinnlos ist, und gehe gut gelaunt und mit knurrendem Magen in die Bäckerei. Afiyet olsun! 


Update: Bei Facebook ist zu erfahren, dass noch vor einigen Monaten ein Pärchen aus zwei Bräutigamen... Bräutigams... Bräutigämern... also zwei Männer zu sehen waren - die Entscheidung ist also nicht nur bewusst, sondern in hohem Maße gendergerecht. Und vor diesem Hintergrund kann man ja ruhig ein kleines bisschen Werbung machen und darauf hinweisen, dass es sich hier um die Bäckerei jener Familie handelt, die seinerzeit als die "türkischen Fußbroichs" durch eine Fernsehserie von Ute Diehl berühmt geworden ist.

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