Mittwoch, 15. Mai 2013

Pfingsten und die Freiheit der Sprache

Pfingsten also. Nicht ganz einfach, nicht so griffig wie Weihnachten oder Ostern. "Die Alten werden Träume träumen" und "Knechte und Mägde werden weissagen", diese alttestamentlichen Verheißungen werden nach der biblischen Geschichte an Pfingsten erfüllt. Zum Beispiel dann, wenn zwei Rentnerinnen dem Pfarrer auf die Sprünge helfen und Nachhilfe in Sachen Theologie geben.

Die Kölsche.


"Wissen Se", beginnt die alte Dame in breitem Kölsch, als wir bei ihr am Küchentisch sitzen und sie mir erklärt, warum sie früher so viel Probleme mit dem Beten gehabt hätte, "ich han ja met däm Bedde immer esu ming Problem jehadt. Irjendswie han ich immer jedaach: Esu schön un hühwöödich, wie dat dä Pastur en dr Kirch immer mäht, krejen ich dat nit hin. Wann ich ens versök ze bedde, dann dun ich immer esu ärmsillig erömstruddele, do däht dä Härjott bestempt nit jään zohüre." 
Ich nicke. Das erzählen viele. Zumindest die, die mit dem Hochdeutschen so ihre Probleme haben und glauben, dass Gebete, die nicht so würdevoll, präzise, vielleicht ein bisschen hochgestochen klingen wie beim Pfarrer in der Kirche, es nicht richtig bis zum Himmel hoch schaffen. Und schüttele den Kopf. So ist es ja gar nicht! Ich will den Mund aufmachen, will ihr erzählen von den Mut machenden Worten Jesu, dass Gott sowieso schon jeden Gedanken kennt, bevor wir ihn ausgesprochen haben, und von Paulus, der sagt, dass der Heilige Geist dem lieben Gott "mit unaussprechlichen Seufzern" ständig für uns in den Ohren liegt, weil wir doch alle manchmal unsere liebe Not damit haben, die "richtigen" Formulierungen zu finden - und weil es uns manchmal schier die Sprache verschlägt, auch die religiöse.
Doch sie redet schon weiter, und ihre Augen leuchten: "Ävver dann han ich e Boch krejen, un dat hät mr jeholfe!" Sie springt auf, holt aus dem Schlafzimmer das Buch, das ihr geholfen hat, und legt es auf den Tisch. Die "Psalmen op Kölsch" von Ria Wordel. Ein altes, zerlesenes, offenbar häufig gebrauchtes Buch. Sie schlägt es auf und liest mir aus Psalm 7 vor: Här, mingen Jott, op dich verdrauen ich. Rett mich doch vor all denne biestije Kääls, dat die mich nit wie ene Löw zerrieße un keiner do es, dä mir ze Hölp kütt. Sie sieht mich an und sagt leise: „Un wissen Se, et jidt en dr Welt e janze Menge biestije Kääls…“ Dann schlägt sie das Buch zu und sagt fröhlich: „Ja, un jetz dun ich och ald widder bete!“ Jetzt betet sie wieder.

Auf dem Nachhauseweg denke ich an den Satz aus der Pfingsgeschichte: "jeder hörte sie in seiner Sprache reden..." Und an Nelson Mandela, der einmal gesagt hat: Wenn du jemandem etwas in einer Sprache erzählst, die er versteht, dann geht ihm das in den Kopf. Wenn du mit ihm in seiner Muttersprache redest, geht ihm das zu Herzen.

Die Katalanin.


"Hier, menja!" Mit diesen Worten stellt sie einen Teller mit Tomatenbrot vor mir auf den Tisch, pa amb tomàquet, ein traditonelles Armeleuteessen und ein katalanisches Nationalgericht. Sie nimmt mir gegenüber Platz und streicht sich ihr pechschwarz gefärbtes Haar zurück. Eitel ist sie geblieben, meine Nachbarin María, zeitlos, robust und wettergegerbt wie ein knorriger Olivenbaum auf einem Hügel irgendwo im Umland von Barcelona. Da kommt sie her, und sie legt großen Wert darauf, dass sie keine Spanierin ist, sondern Katalanin. 
Beim Essen kommen wir auf Pfingsten zu sprechen, ich erzähle ihr von einem geplanten Tauferinnerungsgottesdienst und dass wir froh sind, auf diese Idee gekommen zu sein, weil Pfingsten doch ein Fest ist, dessen Sinn sich nicht ganz einfach vermitteln lässt. "Pah, schwierig", macht sie und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. "Pentecosta schwierig... ist ganz einfach: Pfingsten ist ein Freiheitsfest!" Als ich sie fragend angucke, holt auch sie ein Buch aus einem benachbarten Zimmer und legt es auf den Tisch. "Alte Bibel von meine Mutter", erklärt sie. "Montserrat", fügt sie, fast verschwörerisch, hinzu. Und erzählt, wie es war, als unter Francos Diktatur das ganze Land "hispanisiert" werden sollte: Den Menschen wurde verboten, ihre Muttersprachen zu sprechen, Ortsnamen und Straßenschilder wurden umbenannt, und auf Català oder Galego wagte man höchstens zu flüstern, hinter verschlossenen Türen. Sprachimperialismus nennt man das, wenn eine Herrscherelite ihre eigene Sprache gewaltsam durchsetzt - und so die gesamte Kultur unterwirft und Menschen klein hält. "Fremde Sprache ist Gefängnis für die Seele", schimpft sie in holprigem Deutsch und schlägt gleich nochmal mit der Hand auf den Tisch. Sie erzählt aber auch mit vor Stolz bebender Stimme von den Mönchen von Montserrat, einem Kloster im Hinterland von Barcelona. Im Schatten der Sandsteinberge wurde dort, wo in den Zwanzigern die erste katalanische Bibel der Neuzeit entstanden war, während der Francodiktatur auf Katalanisch weiter gepredigt, gebetet, gesprochen und publiziert. 
Sie schlägt die Bibel auf und liest aus der Apostelgeschichte: Així que es féu aquella remor, s'aplegà la multitud i es produí una confusió entre ells, perquè cadascun els sentia parlar en la pròpia llengua. "Klar haben die Leute sich gewundert, als sie ihre Sprache gehört haben", stellt sie fest, und sagt, fast staunend, dass es ihr bis heute unwirklich  vorkommt, wenn sie in ihrer Heimat zu Besuch ist, über die Ramblas spaziert und überall Menschen auf Katalanisch lachen, streiten und rufen hört. Ganz laut, ganz offen. Ganz frei.

Pfingsten also. "Denn jede hörte sie in seiner Sprache reden..."

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