Samstag, 9. November 2013

Fernsehpfarrer im Realitätscheck (II)

Andreas Tabarius ist wieder zurück. Auch in dieser Woche herrscht wieder große Aufregung in der Bonner Heilandkirche, weil der neue Vikar früher einmal im Gefängnis gesessen hat und natürlich der erste Verdächtige ist, als die Kollekte aus der Sakristei geklaut wird. Also wieder der übliche Stoff, aus dem Vorabendserien sind, zumal sich rechtzeitig vor Wetten dass?! alles in Wohlgefallen auflösen darf (der tatsächliche Täter wird jetzt und hier natürlich nicht verraten - wer es wissen will, kann sich die Folge in der Mediathek ansehen).

Auch in der zweiten Folge der "Herzensbrecher" fällt wieder auf: Drehbuchschreibende und Darstellende haben Vokabeln gelernt. Das Landeskirchenamt in Düsseldorf findet genauso Erwähnung wie die fünf Hauptdisziplinen, die beim Ersten Theologischen Examen abgeprüft werden. Kirchliches Flair, ob von den Serienmachern so gewollt oder nicht, verbreiten übrigens auch die Namen der Protagonisten - der Vikar Stefan Vieweger ist nachweislich nicht verwandt mit dem Wuppertaler Alttestamentler und Archäologen gleichen Nachnamens, die Gemeindesekretärin Frau Marquardt teilt ihren Namen mit einer alten brandenburgisch-rheinischen Theologenfamilie, und Namensvettern des Küsters (Kuckelkorn) begegnen einem im Rheinischen des Öfteren im Zusammenhang mit Beerdigungen.

Gottesdienstliches


Eine "Predigt" des Kollegen Tabarius, dieses Mal wenigstens im Talar, wenn auch mit komischem Kragen, bleibt der Gemeinde in den Kirchenbänken und vor den Fernsehschirmen auch dieses Mal nicht erspart - warum nicht der Vikar eine Antrittspredigt hält, bleibt verborgen. Auch dieses Mal weicht er ganz spontan von seinen eigentlichen Predigtplänen ab und spricht ein betroffenheitsschwangeres Wort "in eigener Sache" in Anlehnung an Joh 8,7 (oder, wie Tabarius es ausdrückt, "Johannes-Acht-Zwo-Elf"), aufgrunddessen sich natürlich alle von der moralischen Keule empfindlich Getroffenen bekehren und Buße tun. 

Wie realistisch das ist? Wie schon beim ersten Mal: Eigentlich gar nicht. Die Ankunft eines neuen Vikars beschäftigt seinen Mentor schon, vor allem, wenn der nicht umumstritten ist und gar des böswilligen Kollektenraubes verdächtigt wird - das fällt einem also nicht plötzlich auf der Kanzel ein. Aber das ist noch das geringste Problem: Das Ventilieren aktueller Krisen im Umfeld der Gemeinde ist schon riskant genug - schon allein deswegen, weil der oder die Predigende als einzige_r die eigene Sicht der Dinge, die aufgrund eigener Verstrickung in eine Personalangelegenheit noch subjektiver und noch beschränkter ist als sonst, von der Kanzel präsentieren kann, während alle anderen zum Zuhören verdammt sind. Fragwürdig außerdem, ob man Anwesende so einfach der Öffentlichkeit ausliefern darf - in diesem Fall besonders (wenn auch wohlmeinend) den Vikar und (wieder) die böse, böse Presbyteriumsvorsitzende. In einem erstaunlich hellsichtigen Moment fragt Tabarius die Gemeindesekretärin: "Fanden Sie meine Predigt nicht manipulativ?" Jo!
Spannender als liturgische und homiletische Fachfragen sind in der zweiten Folge allerdings Aspekte kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts, mit dem Pfarrer Tabarius ebenso nonchalant umgeht wie mit Predigtmanuskript und Perikopenordnung. 
 

Dienstrechtliches: Von Vikaren, Amtszimmern und Sitzungen


Pfarrer Tabarius bekommt einen Vikar ("Sowas ähnliches wie ein Referendar."). Der schneit relativ unvorbereitet rein, bekommt vom Gemeindepfarrer seinen Arbeitsvertrag ausgehändigt und lernt bald darauf die Presbyteriumsvorsitzende, die übrigen Hauptamtlichen und den Superintendenten kennen. Von denen keiner weiß, dass der Neue mal wegen Raubes im Knast war. Aufgrund der Verdächtigungen im Fall des Kollektenschwundes entscheidet Vikar Vieweger (als einer der wenigen Figuren mit offensichtlich klarem Kopf), dass es besser wäre, die Gemeinde zu verlassen. Nach einer rührseligen Abschiedsszene zieht es ihn mit Motorrad, Collarhemd und Boxhandschuhen nun in die Eifel, wo der Superintendent für ihn eine andere Gemeinde gefunden hat. 

Wie realistisch das ist? Das meiste ist absoluter Quark - von der Erklärung, was ein Vikar ist, mal abgesehen (so beschreiben die meisten Vikar_innen selbst ihre Rolle). Der Pastorenazubi (oder -geselle?) hat im Gefängnis sein "Fachabitur nachgeholt und sich für ein Theologiestudium entschieden" - so begrüßenswert die Entscheidung, so hinderlich ist die Tatsache, dass man mit Fachabi allein an keiner staatlichen Fakultät oder kirchlichen Hochschule Theologie studieren kann. 
Dass der Vikar am ersten Arbeitstag ein Collarhemd trägt (der Vorspann verrät: Der Mentor macht es vor) ist hoffentlich auch sehr unrealistisch, denn es würde doch arg prätenziös aussehen - mal ganz abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob evangelische Pfarrer_innen so etwas überhaupt brauchen. Das wäre mal einen eigenen Blogeintrag wert. 




Ein Vikar bekommt in den meisten Fällen außerdem keinen Arbeitsvertrag ausgehändigt, denn: Auch der kirchliche Vorbereitungsdienst ist ein öffentlich-rechtliches, quasi beamtenanalog geregeltes Dienstverhältnis, das nicht durch eine beiderseitig ausgehandelte und in einem Arbeitsvertrag festgehaltene Übereinkunft bezüglich der vom Arbeitgeber gekauften Arbeitsleistung seine rechtliche Gestalt erhält, sondern durch Überreichung der Berufungsurkunde begründet wird. Die wiederum wird nicht vom Vikarsmentor überreicht (schon gar nicht im Boxclub), sondern vom direkten Dienstvorgesetzten, dem Superintendenten. Und am Landeskirchenamt vorbei funktioniert so etwas ohnehin nicht - das nämlich beruft nach bestandenem Ersten Theologischen Examen in den Vorbereitungsdienst. Und am Presbyterium vorbei eigentlich auch nicht, da würde man im richtigen Leben schon die unheilsschwere Frage stellen, ob hier ein gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Pfarrstelleninhaber_in und Presbyterium überhaupt noch möglich ist. Dass Vikar_innen aufgrund von Problemen mit Mentoren oder Gemeinden und damit aus guten Gründen die Vikariatsgemeinde wechseln, kommt indes vor. Auch der Stellenwechsel von Vikar Vieweger ist nicht ganz unmöglich - eine Heiland-Kirchengemeinde gibt es nämlich im Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel. Wiederum vollkommen unrealistisch ist der Gedanke, dass jemand, der vor gerade einer Woche eine Pfarrstelle übernommen hat, einen Vikar bekommt - das Einleben in einer neuen Gemeinde ist so zeit- und begegnungsintensiv, dass kaum Zeit bleiben dürfte, einen jungen Kollegen beim Einüben beruflicher Tätigkeiten und bei der Entwicklung einer eigenen pastoralen Identität zu begleiten. 
Unrealistisch ist übrigens auch, dass der Pfarrer auf dem Gemeindeamt residiert - wenn eine Dienstwohnung zur Verfügung steht, und vor allem dann, wenn es ein großes Pfarrhaus ist, dann ist das Amtszimmer in aller Regel dort untergebracht. Dann stürmt auch die Sekretärin nicht einfach so rein, und das noch durch eine Tür, die zu dünn ist, als dass sie den (auch akustischen) Schutz, den wir im Rahmen der seelsorglichen Schweigepflicht verprechen, bieten könnte.



Im Gespräch mit der Presbyteriumsvorsitzenden, die, wie nach der ersten Folge zu erwarten war, alles Schlechte in sich vereint und als kaltherzige, paragrafenreitende und pharisäerhafte Vertreterin der Institution den Negativcharakter spielt, gegenüber dem sich der pastorale Charismatiker profilieren kann, schlägt Tabarius vor, das Presbyterium solle sich nicht einmal im Monat treffen - das "kostet erst einmal enorm viel Zeit, und zweitens ist es sowieso nur das ständige Wiederholen von Themen und eigenes Gelaber. Einmal im Quartal würde völlig ausreichen." Frau Abels erkennt den Hintergedanken: "Am liebsten würden Sie uns alle doch hier aus allem raushalten und alles selbst entscheiden."

Wie realistisch das ist? Nun ja. Kirchliche Gremienarbeit kostet Zeit. Und viiiiel Geduld. Und manches (wenn nicht sogar vieles), was auf Presbyteriums- und anderen Sitzungen so alles ventiliert wird, ist ohne jeden Zweifel überflüssig, lästig, vielleicht mitunter sogar schädlich. Aber: Das Problem lässt sich nicht dadurch lösen, dass man weniger Sitzungen veranstaltet, sondern hängt damit zusammen, wie diese Sitzungen vorbereitet und durchgeführt werden und welche Schwerpunkte die Beteiligten setzen. Und einfach so auf einen Quartalsrhythmus umsteigen kann keine Gemeinde, da ist das Kirchenrecht vor: In der Kirchenordnung, die in einer Landeskirche Verfassungsrang einnimmt und somit in der juristischen Normenhierarchie ganz oben steht, heißt es in Art. 23, Abs. 1: "Die oder der Vorsitzende soll das Presbyterium in der Regel einmal im Monat einberufen." Und "soll" heißt in Rechtstexten bekanntlich: "Muss, wenn kann."

Kleine Lichtblicke...

... oder besser: Überraschend realistische Einblicke in den kirchlichen Alltag werden vor allem auf der zwischenmenschlichen Ebene geboten: Die neue Gemeindesekretäring fragt, wie das ausgewiesen kirchenferne Menschen durchaus des Öfteren tun: "Wie soll ich Sie denn jetzt anreden? Herr Pfarrer? Herr Tabarius?" Der jüngste Pfarrerssprössling schlägt eine pragmatische Lösung vor: "Er heißt Andreas!", woraufhin der Angesprochene überraschend distanziert und dabei professionell entgegnet: "Soweit sind wir noch nicht." Die komplizierte Frage nach dem Duzen in kirchlichen Kontexten ist ja auch hier schon einmal bewegt worden. Überhaupt, die Gemeindesekretärin und das putzige jüngste Pfarrerskind: In allen Gemeinden, die ich bislang erlebt habe und in denen Pfarrer_innen kleine Kinder hatten, lag im Gemeindebüro Schokolade für die Kleinsten bereit, die dort gerne mal nach dem Rechten sahen. Und dass auch Gemeindemenschen tratschen, voreingenommen und vorurteilsbeladen sind, dass, mit Kornelis Heiko Miskotte gesagt, oft genug "die 'Kirchlichen', wenn sie schlimm sind, schlimmer, zwiespältiger, unzuverlässiger, unedler, inhumaner sind als die gewöhnlichen Menschen" - Alas!, wer würde es bestreiten wollen...?

Das Fazit nach der zweiten Folge:

Natürlich ist "Herzensbrecher" in erster Linie eine Vorabendserie, die nach genreüblichen Gesetzmäßigkeiten strukturiert ist, und keine Dokumentation über kirchliches Leben. Die Figur des Andreas Tabarius ist mir bleibend unsympathisch. Nicht, weil kirchliche Rechte und Strukturen sakrosankt und unantastbar wären, sondern weil den Fernsehzuschauer_innen suggeriert wird, theologische Kompetenz würde sich durch das Absondern billigster moralischer Richtigkeiten erweisen und die Rolle der Bibel wäre es, liturgisch gewandeten Luftpumpen als Steinbruch und Stichwortgeberin für selbstgerechte Appelle zu dienen. Trotzdem, oder gerade deswegen bin ich natürlich schon nach der zweiten Folge süchtig, denn: Das Lästern über fiktive Kollegen ist ausdrücklich erlaubt und der eigenen Psychohygiene äußerst zuträglich - schließlich tut es immer gut, wenn man davon überzeugt sein kann, selbst alles richtig zu machen. Zumindest richtiger als "der da". Das gesagt, werde ich mich bußfertig mit dem oben zitierten Satz von Miskotte noch einmal zurückziehen und morgen auf der Kanzel um keinen Millimeter von meinem Manuskript abweichen!

5 Kommentare:

  1. "liturgisch gewandeten Luftpumpen" *juuuuuuuchz*

    Den Blog zu lesen, macht großen Spaß.

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  2. Haha. Ich hab die Serie noch nie gesehen, aber dafür bin ich süchtig nach den Kommentaren!

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    1. Ich fühle mich geehrt - und es wäre ja spannend, wie Du die Serie nach dem Lesen der Kommentare siehst, wenn denn irgendwann mal... ;-)

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  3. Warum sollen evangelische Pastoren kein Collarhemd tragen!? Dann wären sie wenigstens als Pastoren erkenntlich! Selbst wenn es konfessionelle Verwechslungen gäbe, wäre das doch wurscht. Es geht nicht darum, ob sie es "brauchen", sondern was ein solches äußeres Erkennungszeichen "nutzt". Eine Frage des Amtsverständnisses, welches auch innerhalb der ev. Kirche unterschiedlich verstanden wird.

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