Donnerstag, 11. April 2013

"..., bis dass der Tod euch scheidet" - Liebe lebenslänglich?

Es gibt so einen Punkt in vielen Traugesprächen, da stockt es ein für einen Moment. Ein nervöser Blick, der zwischen beiden hin und her flackert. Ein leises Räuspern, ein schnelles  Sich-zurecht-Rücken auf dem Stuhl, der plötzlich unbequemer scheint als vorher. Nur ein Moment, aber ein klares Signal: Wir müssen reden. Es wird ernst. 

Der Punkt kommt relativ spät im Kontakt zwischen Pfarrerin oder Pfarrer und den beiden, die mit ihrer Beziehung einen Schritt weiter gehen wollen. Wenn es bislang gut gelaufen ist, hat man sich gegenseitig beschnuppert und sympathisch gefunden, vertrauenswürdig und interessant. Die beiden haben ihre Geschichten erzählt, man ist gemeinsam unterwegs gewesen, um sich jetzt den praktischen Dingen zuzuwenden, die es miteinander zu besprechen gibt. Gottesdienstablauf soweit klar - Einzug, Lied, sitzen, stehen, nicht so viel fotografieren und lieber gucken, Lesungen, Ansprache, zwischendurch ein paar Lieder - ach, Schwester singt? Super, geht auch - und dann die Traufrage. Meiner Erfahrung nach sind die meisten Paare ungemein erleichtert, wenn sie hören, dass sie ihre Liebesschwüre und Treueversprechen nicht (wie so oft gesehen und total schön, aber auch ein bisschen beängstigend gefunden) selbst vorlesen, geschweige denn selbst verfassen müssen. Ein "Ja, mit Gottes Hilfe" tut es auch, und wem das partout nicht über die Lippen kommen will, kann es bei einem einfachen "Ja" belassen. Da sollte man entspannt sein - auf Gottes Hilfe kommt es sowieso an, ob wir das jetzt noch extra dazu sagen oder nicht.
Kleiner Einschub zum Thema "Trauversprechen", die als marriage vows in englischsprachigen Ländern weitaus verbreiteter sind als bei uns: Ein selbst formuliertes Eheversprechen kann diesem atmosphärisch ohnehin schon dichten Moment eine sehr persönliche Note geben und verdeutlicht, dass sich hier zwei erwachsene Menschen aus freien Stücken auf einen gemeinsamen Weg machen; Anregungen und Formulierungshilfen gibt es zuhauf im Internet (auf Englisch noch weitaus mehr). Allerdings sollten sich beide wirklich einig sein, dass sie das wollen - das Sprechen vor so vielen Leuten ist ohnehin nicht jedermans (und jeder Frau) Sache, und die Gespanntheit des Augenblicks macht es noch ein bisschen aufregender, selbst, wenn hier wie in jedem anderen Gottesdienst auch gilt: Es wird nicht falsch, es wird halt nur anders. Wer den eigenen Formulierungskünsten nicht traut oder keine passenden Vorlagen findet, auf ein längeres Trauversprechen jedoch nicht verzichten will, kann einen Mittelweg beschreiten: In den einschlägigen Agenden (also den Gottesdienstabläufen) gibt es Beispieltexte, die der Pfarrer oder die Pfarrerin auch Satz für Satz vorsagen kann. Nochmal: Hier, wie sowieso ja immer, sollte man offen über die eigenen Wünsche und Befürchtungen reden.
Hier liegt der Punkt, an dem es manchmal ungemütlich wird: In den meisten Vorlagen zu den Traufragen heißt es am Ende, direkt vor dem Fragezeichen, das auf eine Antwort wartet: "..., bis dass der Tod euch scheidet".  Manche Paare haben Probleme mit dem Satz, und ich kann das aus zweierlei Gründen nachvollziehen: 

Wir reden nicht gern über den Tod, weil wir nicht gern daran erinnert werden, dass wir sterben müssen - vor allem nicht an einem solchen Tag. 
Und: Wir sind es nicht mehr gewohnt, Entscheidungen für das ganze Leben zu treffen. Beruf, Krankenkasse, all das lässt sich wechseln - Partner oder Partnerin inklusive. Liebe lebenslänglich ist nicht mehr der Normalfall. Die meisten Menschen haben vor ihrer Ehe Beziehungen erlebt, die am Anfang für die Ewigkeit gemacht schienen und doch auseinander gegangen sind. Und sie kennen aus eigener Erfahrung oder dem persönlichen Umfeld Ehen, die an dem hohen Maßstab, den diese Frage anlegt, gescheitert sind. Ich habe großen Respekt vor den Paaren, die offen damit umgehen.

Ich bin trotzdem dafür, diese Perspektive in der Traufrage zu lassen, auch, wenn die meisten Gottesdienstagenden die Möglichkeit einräumen, den Satz mit dem Tod zu streichen. Zum Einen finde ich es wichtig, dass wir über den Tod reden - auch über unseren eigenen. In der Bibel bittet ein Mensch: "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen - auf dass wir klug werden" (Psalm 90,12). Die eigene Sterblichkeit zu akzeptieren hilft, die Gegenwart als ein Geschenk und jeden Tag als etwas besonderes wahrzunehmen, bewusst zu leben und die wichtigen Dinge nicht unausgesprochen zu lassen. Ich glaube auch, dass es einer Beziehung eine Tiefendimension gibt, wenn man offen über die Ängste, aber auch Wünsche um den eigenen Tod herum sprechen kann.

Und, ja: Die Perspektive, die der Satz mit dem Tod mit sich bringt, legt einen hohen Maßstab an. Aber auch in der Multioptionsgesellschaft wächst Vertrauen zwischen Menschen dadurch, dass man sich einander vorbehaltlos verspricht, auch auf die Gefahr hin, dass auf dem gemeinsamen Weg noch Steine liegen, von denen man nicht sagen kann, ob man sie wegräumen oder wenigstens drum herum gehen kann. 

Mir ist ein besonderes Traugespräch in Erinnerung, das mir noch auf andere Weise die Augen geöffnet hat:

Ein ungewöhnliches Paar sitzt am Tisch. Beide sind über siebzig, seit langem verwitwet und seit einiger Zeit schwer verliebt. Jetzt wollen sie noch einmal heiraten und sich um das Kopfschütteln, das ihre Pläne bei Kindern, Enkeln und Gleichaltrigen hervorrufen, nicht kümmern. Als wir in die konkrete Gottesdienstplanung einsteigen, fällt mir die nicht mehr ganz so junge, dafür aber sehr resolute Braut ins Wort: "Und kommen sie nicht auf die Idee, die Sache mit dem Tod rauszulassen. Das ist uns sehr wichtig!" Ihr künftiger Ehemann, vom Typ her etwas bedächtiger als seine Braut, drückt ihre Hand und nickt. Bevor ich reagieren kann, fährt sie fort: "Ich habe meinem ersten Mann versprochen: Bis dass der Tod uns scheidet. Das Versprechen habe ich gehalten, denn mir war es ernst mit ihm. Aber deswegen bin ich jetzt auch frei. Und mit ihm", sie wirft ihrem Verlobten einen liebevollen Blick zu, "ist es mir genauso ernst." Sie guckt mich wieder an. "Sie sind so jung, vielleicht verstehen Sie das nicht. Aber keiner weiß doch, wie viel Zeit wir noch gemeinsam haben. Und wenn ich vorher sterbe, und mein Mann sich noch einmal verliebt - dann soll er mich loslassen können und genauso glücklich sein wie ich es jetzt mit ihm bin." Ihr künftiger Ehemann, vom Typ her, wie gesagt, etwas bedächtiger als sie, drückt ihre Hand und nickt. 


Wie findet Ihr den Satz mit dem Tod?

4 Kommentare:

  1. Wir hatten die Vollversion, selbstverständlich und ohne Zucken. Das ist der schwere Stempel, der da drunter muss. Die Todesverdrängung ist eine der Dummheiten der Moderne.

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  2. Danke für Deine Erfahrungen dazu!
    Aber geht es "nur" um Todesverdrängung, oder nicht auch um ein irgendwie ja auch verständliches Zögern angesichts der immens hohen Scheidungsraten, der Multioptionsgesellschaft, der wir uns alle nicht entziehen können?

    Das Sprachbild mit dem "schweren Stempel" finde ich interessant... es geht ja um was...

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    1. @ Multioptionsgesellschaft

      Es kann durchaus sein, dass das auch damit zu tun hat. Ich finde auch, dass für manche Paare eine Scheidung besser ist als sich gegenseitig über Jahre und Jahrzehnte das Leben schwer zu machen.

      Wenn allerdings auf breiter Front Ehepartner nur noch als Lebensabschnittsgefährten verstanden werden, ist etwas faul.

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  3. oder auch mal das bewusste ignorieren dieser Tatsache, weil im Vorfeld der Hochzeit zu viel passiert ist und sich der Satz (trotz weglassen) 3 Monate fast doch ereignet hätte. Haltet das Glück fest und genießt es und ignoriert auch mal die Endlichkeit.

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