Liebe
Gemeinde,
(c) Dieter Kreikemeier / pixelio.de |
Morgennebel
liegen noch über dem See. Am Ufer schwelt im taufeuchten Sand ein Kohlenfeuer
vor sich hin, drum herum Fischgräten, Brotstücke, Reste eines Essens mit
Freunden. Dort am Ufer sitzen auch zwei Männer und unterhalten sich, ein Männergespräch
eben. Das Gespräch ist kein einfaches, es geht um Gefühle, und da unterstellen
ja manche, dass Männern das Sprechen darüber sowieso nicht so leicht fällt.
Das
Gespräch ist anstrengend, weil die beiden Männer eine bewegte Vergangenheit
haben. Nehmen wir auf einem Stein in der Nähe Platz und hören wir ihnen erst einfach
mal zu.
Als sie nun gegessen haben, spricht Jesus zu
Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als diese mich
lieben? Er sagt zu ihm: Ja, Herr, du weisst, dass ich dich lieb habe. Er sagt
zu ihm: Weide meine Lämmer! Und er sagt ein zweites Mal zu ihm: Simon, Sohn des
Johannes, liebst du mich? Der sagt zu ihm: Ja, Herr, du weisst, dass ich dich
lieb habe. Er sagt zu ihm: Hüte meine Schafe! Er sagt zum dritten Mal zu ihm: Simon,
Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten
Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und er sagt zu ihm: Herr, du weisst
alles, du siehst doch, dass ich dich lieb habe. Jesus sagt zu ihm: Weide meine
Schafe! Amen, amen, ich sage dir: Als du jünger warst, hast du dich selber
gegürtet und bist gegangen, wohin du wolltest. Wenn du aber älter wirst, wirst
du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wohin
du nicht willst. […] Und nachdem er dies gesagt hatte,
sagte er zu ihm: Folge mir!
Liebe
Gemeinde, da sitzen sie also am Ufer des Sees, nach dem Essen, Jesus und
Petrus. Beide haben eine bewegte Vergangenheit miteinander, eine Geschichte
voller großer Abenteuer, aber auch voll enttäuschter Erwartungen und nicht
eingelöster Versprechen, die in diesem Gespräch zwischen ihnen liegen wie das
schwelende Kohlenfeuer. Petrus dürfte ziemlich unbequem auf seinem Stein
sitzen, mit den Erinnerungsfetzen der letzten Zeit, die wie die Schwaden des
Morgennebels an seinem inneren Auge vorbeiziehen:
Chaos im Garten am Bach
Kidron, das Gebrüll der Soldaten, er selbst, wie er sein Schwert zieht und
Jesus verteidigen will – und der ihn vor den anderen in die Schranken weist…
Die
neugierigen und bohrenden Blicke der Leute vor dem Palast, die ausgestreckten
Zeigefinger, die schrillen Rufe: Du gehörst doch auch zu diesem Jesus…
Er fühlt
fast körperlich noch einmal, wie er einknickt, hört sich selbst noch einmal die
Worte sagen, deren Echo seit Tagen in seinem Kopf dröhnt: „Ich kenne den
Menschen nicht!“…
sieht sich selbst in sicherer Entfernung von der
Hinrichtungsstätte Golgatha stehen, sieht Jesus sterben, sieht, wie andere bei
ihm sind und ihn im Sterben und im Tod begleiten...
Fühlt noch einmal die Enge
in der Brust, den konturlosen Schmerz, die Wut, das Chaos der letzten Tage, das
auch noch nicht ganz weg ist, die Einsicht: Er ist wieder da, die noch nicht
ganz bis ins Herz vorgedrungen ist.
Als
sie gegessen haben, spricht Jesus zu Simon Petrus… Und so muss es ja
eigentlich sein: Wenn es weitergehen will, wenn man miteinander weitergehen will,
muss man miteinander über das, was passiert ist, reden. Auch, und gerade dann,
wenn es schwer fällt, wenn Schuld, Enttäuschung und Versäumnisse im Raum
stehen. Ich kann mir vorstellen, dass Petrus ziemlich mulmig zu Mute ist, als
Jesus ihm signalisiert: Wir müssen reden.
Und
der Gesprächseinstieg ist alles andere als einfach:
Simon,
Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als diese mich lieben?
Wahrscheinlich
klingt diese Frage in Petrus Ohren wie ein Anklageplädoyer: „Simon, Sohn des
Johannes“, das ist distanzierte Behördensprache, das ist nicht der Spitzname, mit
dem ihn sonst Jesus anspricht, den kein anderer als er benutzen darf. Und dann
diese Frage erst – „liebst du mich mehr als die anderen da?“
Liebe Gemeinde, vielleicht ist jemand von Ihnen schon einmal diese Frage gestellt worden – dann wissen Sie, wie schwer es ist, darauf zu antworten: Sagt man ‚ja‘, dann bleibt, auch, wenn man es ehrlich meint und fühlt, ein schales Gefühl zurück, die Unsicherheit, warum der Andere diese Frage braucht. Auf der anderen Seite: Petrus wird sich denken können, warum Jesus ihm diese Frage stellt, und auch, warum er ihn mit den anderen vergleicht. Das hat Petrus selbst oft genug getan, noch der Weg zum leeren Grab ist ein Wettlauf gewesen, wer als Erster da ist. Vielleicht braucht gar nicht Jesus diese Frage, sondern Petrus, und Petrus antwortet ziemlich kleinlaut: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.
Wenn
Sie selbst einmal einem Menschen diese Frage gestellt haben – liebst du mich?
-, dann wissen Sie auch: Das ist eine blöde Antwort. „Das weißt du doch“, das ist
nicht das, was man hören will, denn die Frage stellt sich ja in erster Linie
dann, weil man es eben nicht richtig weiß, weil man hören muss. Liebst du mich?, fragt
Jesus, und Petrus sagt: Ja, du weißt, dass ich dich lieb habe. Das klingt ein
bisschen nach so einem typischen Satz eines Mannes, dem es schwer fällt, über seine
Gefühle zu reden. Vielleicht ist Petrus das Wort „Lieben“ zu groß nach all dem,
was in diesen letzten Tagen zwischen ihnen vorgefallen ist. Vielleicht schwächt
er auch ab, weil er zeigt, dass er die Spitze der Frage verstanden hat: Liebst
du mich mehr, als diese mich lieben? Wie die anderen zu Jesus stehen, das
geht Petrus nichts an, das scheint ihm klar geworden zu sein. Und so ist er mit
dieser Antwort ganz bei sich, ohne auf den Glauben der anderen zu
schielen.
Jesus
antwortet: Weide meine Lämmer, also: Pass auf die auf, die mir anvertraut
sind. Offensichtlich, und das beeindruckt mich an diesem Wortwechsel: Jesus
reicht das, dieses abgeschwächte, brüchige, kleinlaute Bekenntnis, das den
Vergleich mit anderen scheut. Das reicht ihm, um mit Petrus weiterzumachen. Das
genügt als Basis, um bei der Sache Jesu dabei zu bleiben.
Aber
er fragt noch einmal, diesmal ohne den Blick auf die anderen, der Wortwechsel
wiederholt sich in leichter Variation:
Liebst
du mich?
Ja,
Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.
Hüte
meine Schafe.
Und
Jesus fragt ein drittes Mal, und Petrus wird traurig – verständlich, irgendwie.
Denn wenn die Frage schon eine Zumutung war, dann ist es die zweite und dritte
Wiederholung erst recht. Und die Erinnerungen kommen zurück und das, was
zwischen beiden geschehen ist, was er getan und gelassen hat, scheint stärker und
entscheidender als alles, was er am Seeufer sagen kann, und so kann man sich
vorstellen, wie frustriert Petrus klingt: Herr, du weisst alles, du siehst
doch, dass ich dich lieb habe.
Aber
eins überhört Petrus an dieser dritten Frage: Jesus wiederholt sich nicht ein
drittes Mal, sondern er fragt: Hast du mich lieb?
Jesus
lässt sich auf Petrus Formulierung ein, er übernimmt sie – Jesus lässt Petrus
ihrer Beziehung den Namen geben und ihre Intensität definieren. Er lässt sich
auf Petrus ein, seine Entgegnung bleibt dieselbe: Weide meine Schafe.
Vielleicht
wirft Petrus jetzt einen Blick in die Runde der Jünger, vielleicht denkt er an
die Menschen, denen sie auf ihrem Weg begegnet sind. Auf jeden Fall: Der Blick
weitet sich, an den Rändern tauchen wieder andere Menschen auf. Es geht um sie
beide, da am Ufer des Sees, aber es geht eben um noch viel mehr: Wer sich auf
die Beziehung zu Jesus einlässt, der bleibt nicht mit ihm allein. Da gibt es
Momente der Zweisamkeit und der Intimität, in der sich über das reden lässt,
was schwer ist. Aber mit Jesus hat man immer eine offene Beziehung, in der
andere Platz haben, und das Verhältnis, das man mit Jesus hat, hat Folgen. Auch
dann, wenn man selbst eher kleinlaut und leise wird und seine eigenen Grenzen
nur zu gut kennt. Jesus reicht das. Weide meine Schafe, pass auf die auf, die
dir anvertraut sind, auf die Menschen, die ich dir an die Seite stelle.
Die
beiden reden noch eine Weile miteinander, im Laufe dieses Gesprächs wird klar,
dass der Weg, den Petrus gehen soll, kein leichter ist und ihn womöglich das
Leben kosten wird, dass ihn jemand dorthin führen wird, wohin er nicht will,
wie ein Schäfer oder ein Hirte, der auf der Suche nach einem verlorenen Schaf selbst
über gefährliche Abgründe klettern muss. Dann gehen sie zurück zu den anderen.
Stellen
Sie sich noch vor, es gibt einen Moment, als sie beide aufbrechen, an dem wir
Blickkontakt mit Jesus bekommen. In diesem kurzen Blickwechsel liegt alles, was
wichtig ist: Lass uns reden. Über das, was bisher zwischen uns gewesen ist, über
die Geschichte, die wir miteinander haben. Und in dem Blick liegt die Frage:
Liebst du mich? Glaubst du mir, vertraust Du mir? Vielleicht können einige aus
vollem Herzen sagen: Ja, klar! Vielleicht können einige nicht mehr, als trocken
und kleinlaut sagen: Weißt du doch… Ja, irgendwie schon… Beides reicht. Und
gucken Sie sich jetzt mal um, in der Kirche, oder lassen Sie vor Ihrem inneren
Auge die Menschen vorbeiziehen, die Ihnen in den letzten Tagen begegnet sind
oder auf die sie in der nächsten Zeit treffen werden.
Und
hören Sie ihn noch einmal: Weide meine Schafe.
Amen.
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