Donnerstag, 4. April 2013

Die Sache mit den Bücherspenden



Als „angehender Theologe“, später als „junger Kollege“ wird man oft und gern von älteren Pfarrerinnen und Pfarrern mit Büchergeschenken bedacht. Meist bananenkistenweise, häufig mit dem Hinweis, man habe da so einige Schätzchen in seinem Arbeitszimmer, von denen man sich nun doch aus Platz- oder ähnlichen Gründen trennen müsse, die man aber, weil man sie sich „damals am Berufsbeginn“ noch vom Munde abgespart hat, gerne in liebevolle Hände abgeben wolle. Der „angehende Theologe“, die „junge Kollegin“ macht artig Diener oder Knicks, denkt sich im Stillen: „Boah, da hab ich jetzt aber mal abgesahnt“ und eilt mit der Bananenkiste nach Hause, bevor der edle Spender es sich womöglich anders überlegt!

Die Köder

Beim Auspacken stellt man, wenn es nicht die erste Kiste ist, fest, dass solche Bücherkisten meist unter Marketinggesichtspunkten äußerst geschickt gepackt sind: 
In der obersten Schicht, auf die man schon beim Empfang durch das Bananenkisten eigene Deckelloch ein Auge geworfen hat, liegen die Appetizer: Das können Klassiker der exegetischen Literatur wie zum Beispiel Käsemanns „Exegetische Versuche und Besinnungen“ sein (von besagten älteren Kollegen gern unter Hinweis, man habe ja noch selbst bei Käsemann studiert, scherzhaft als „Exegetische Besuche und Versinnungen bezeichnet), von denen man im Hinterkopf hat, dass dort ein-zwei vielleicht etwas veraltete, für die Theologiegeschichte aber doch bedeutsame Aufsätze drinstehen, die zu Hause zu haben auf keinen Fall schaden kann. Und sei es, um im nächsten neutestamentlichen Seminar betont nonchalant den dunkelweißen Wälzer auf den Tisch zu knallen und ein bisschen theologische Kultur gegenüber den Kommilitonen zu demonstrieren, die nur in Aufsatzkopien herumtextmarkern. Oder um sie einfach im Regal stehen zu haben und sich von Zeit zu Zeit daran freuen und sich selbst der eigenen Belesenheit versichern zu können. 

Nebenbei: Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass das feste Fassen eines guten Vorsatzes bereits dieselbe Menge an Glückshormonen freisetzt wie die tatsächliche Umsetzung -  deswegen fühlt man sich gleich um Einiges fitter und schlanker, wenn man aus einer Schublade die member card seines Fitnessstudios herausgekramt und ins Portmonee gesteckt hat, damit sie dort griffbereit liegt und man direkt am nächsten Morgen so richtig durchstarten kann. 
Vielleicht liegt dieses biochemische Prinzip auch dem in Theologenkreisen so verbreitete Habenwollen von Büchern zugrunde, wer weiß das schon? Ich habe nicht nur den Käsemann im Regal stehen, ich habe sogar die profunde Absicht, „ihn“ in absehbarer Zeit nicht nur zu lesen, sondern gewissenhaft durchzuarbeiten und ihn womöglich mit einigen neueren Ansätzen ins Gespräch zu bringen. Sobald mal wieder „ein bisschen Luft“ ist, denn Muße und Konzentration soll schon sein, wenn man sich solche Klassiker einverleibt. Und schon verfügt man zumindest über ein gefühltes Höchstmaß an theologischer Literaturkenntnis, weil das tatsächliche Lesen ja nur noch der letzte, abschließende Schritt in einem groß angelegten Bildungsprojekt ist, also eher Kür als Pflicht. 

Und so wandern mehrere Bände der ersten Schicht literarischer Schmankerl aus der Bananenkiste ins Bücherregel, dem ihre angegrauten Leineneinbände den nötigen Touch von Traditionalität und theologischer Echtheit verleihen.

Die praktische Masse.

In der zweiten Schicht der Bananenkiste liegt theologische Gebrauchsliteratur – Predigtmeditationen, Unterrichtsentwürfe, Liederbücher, Gebetsbücher, Konfirmandenkurse, all das, was den pastoralen Alltag ein bisschen händelbarer machen kann. Obwohl die meisten dieser Praxishilfen aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stammen, ist das Medienaufgebot beachtlich: Ganze Mappen voll bunter (!) Overheadfolien (für den in manchen kirchlichen Kontexten noch so bezeichneten und tatsächlich noch vorhandenen „Tageslichtschreiber“) und Kartons voll Diaserien: „Kunst zur Bibel“, „Das Heilige Land“ und so Manches mehr. Dem Diakarton beigefügt ist ein vom Vorbesitzer mit großer Akribie angefertigtes Stichwortregister, und weil der Kopf vor lauter Glückshormonen noch ganz warm ist (wir erinnern uns: Käsemann) und manche dieser Dias durchaus interessante Motive versprechen, die man bei Gelegenheit für wenig Geld in jeder Drogerie digitalisieren lassen und damit eine Powerpoint vergolden kann, wandert auch diese Abteilung ins Regal. Schon allein aus Forscherinteresse: Denn auch, wenn man die handgemalten Lieder aus Büchern wie „Eine Wiese voll bunter Blumen – fetzige Lieder für eine gerechtere Welt“ natürlich nie selbst singen, geschweige denn eine postmoderne Jugendgruppe damit traktieren würde, so ermöglichen sie doch interessante Einblicke in die Mentalitätsgeschichte kirchlicher Milieus vergangener Jahrzehnte. 

Der Rest.

In der dritten Schicht schließlich liegen, unter den Appetizern und der praktisch verwertbar anmutenden Gebrauchsliteratur verschämt verborgen, solche Bücher, zum Teil neueren Datums, die man zur Genüge kennt: Es sind diejenigen Druckerzeugnisse, die in den Sachbuchbestsellerlisten unter dem Stichwort „Religion“ geführt werden, die Einem von wohlmeinenden Verwandten zu Weihnachten geschenkt werden mit dem Hinweis: „Du beschäftigst dich doch mit so was“, oder die man selbst in umnachteter Stunde in einer Bahnhofsbuchhandlung gekauft hat, weil man nichts zu Lesen, dafür aber drei Stunden Aufenthalt in Hagen hatte und den wahnwitzigen Einfall, man könne ruhig einmal in die Hand nehmen, was Ottonormalverbraucher so alles unter „Religion“ versteht. In dieser letzten Schicht liegen sie alle, Bruder Paulus, Hans Küng, Anselm Grün und Jürgen Fliege. Dazwischen: Verschwörungstheoretisches zu Geheimbünden der Kirchengeschichte und Zahlencodes biblischer Schriften und Postkartenbüchlein mit Landschaftsaufnahmen und irischen Segenswünschen, leider angekratzt und nicht mehr zum Weiterverschenken geeignet.

Beim Sichten dieser letzten Schicht haben sich die Käsemann‘schen Glückshormone bereits verflüchtigt, und man ahnt, dass die Bananenkiste mitnichten das vom Herzen abgerungene Geschenk eines edel gesinnten älteren Amtsbruders war, der sich mit dem theologischen Nachwuchs solidarisiert und mit ihm den Schatz theologischen Wissens teilt. Es ist vielmehr anzunehmen, dass der Haushaltsvorstand jenes emeritierten Kollegen nach fünfzig Jahren treuen Pfarrfrauendaseins die Nase voll und zu wenig Platz hat und ihrem Mann eines schönen Sonntagmorgens irgendwann nach Trinitatis beim Frühstück mitteilt, dass man nach mittlerweile zehn Jahren in Rente kein Arbeitszimmer mehr bräuchte, sie aber sehr gern endlich das seit langem versprochene Bügelzimmer hätte und er sich nun bitte um eine Entschlackung der diesem Plan im Wege stehenden Bücherregale kümmern möge. Weil man als Theologe, vor allem nicht als Deutscher angesichts unserer Geschichte, um keinen Preis der Welt Bücher einfach wegwerfen würde, und weil kein Antiquariat der Welt für eine solche Sammlung auch nur die Versandkosten übernehmen würde, liegt es also am nächst greifbaren Theologiestudenten, die Vikarin oder an einem jüngeren Kollegen, in einem Akt amtsgeschwisterlicher Demut diese Last an sich zu nehmen.

Also legt man die letzte Schicht zurück in die Bananenkiste, legt noch ein bisschen eigenen Überschuss dazu und lässt die Kiste im Keller. Bis zum nächsten Umzug. Wo man dann feststellt, dass man zu viel Kram hat. Und so nimmt man die halbvolle Bananenkiste mit der Seelenwellnessliteratur. Legt ein bisschen religionspädagogische Gebrauchsliteratur aus den Siebzigern drauf, den ganzen Kram, den man im Laufe der Zeit irgendwo angesammelt hat. Hängt an einem von Theologiestudierenden häufig frequentierten schwarzen Brett einen entsprechenden Zettel aus. Und fühlt sich schäbig. Aber vor dem inneren Auge sieht man den älteren Kollegen, der anerkennend nickt und schnarrt: „Bruder, Sie sind bereit, diesen Talar zu tragen.“ Und seine Frau steht in ihrem Bügelzimmer und lächelt.

2 Kommentare:

  1. Ja, ja, da steckt viel Wahres drin - in jeder Lage des Bananenkastens! Und natürlich auch in der Betrachtung.

    Leider hat sich der akademische Distinktionsgewinn (Bourdieu uns so) von Büchern im Regal ja elektronisch verflüchtigt. Doch es bleibt der energetische Gewinn, wenn man sie an die Außenwand stellt!

    Aud Dias lasse ich aber nichts kommen - aus Restbeständen einer westfälischen Mediothek habe ich jetzt alle Weinachtsbetrachtungen erhalten - das reicht für alle Heiligabend- Gottesdienste bis zur Rente. Und was freuen sich die Alten über die Reminiszens an vergangene Zeiten und auch die Jugend schaut fasziniert auf die Medien vergangener Jahrhunderte ...

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  2. Hallo Bücherwurm und danke für den Kommentar!
    Mein Ausbilder im Predigerseminar meinte, das pastorale Bücherregal sei nicht so sehr Mittel der Distinktion, sondern sichtbarer Ausweis der eigenen Professionalität.
    Und selbst, wenn die Bücher drin bleiben, finde ich auch den haptischen und optischen Gewinn nicht zu verachten - über die Buchrücken streichen und leise zufrieden brummen...

    An den unlängst aufgelösten Diabestände der Mediatheken haben sich wohl so einige bereichert - ich warte auf ein Revival des Mediums! In ein paar Monaten geht dann der Run auf die noch verbliebenen Diaprojektoren los...

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