Als
„angehender Theologe“, später als „junger Kollege“ wird man oft und gern von
älteren Pfarrerinnen und Pfarrern mit Büchergeschenken bedacht. Meist
bananenkistenweise, häufig mit dem Hinweis, man habe da so einige
Schätzchen in seinem Arbeitszimmer, von denen man sich nun doch aus Platz- oder
ähnlichen Gründen trennen müsse, die man aber, weil man sie sich „damals am
Berufsbeginn“ noch vom Munde abgespart hat, gerne in liebevolle Hände abgeben
wolle. Der „angehende Theologe“, die „junge Kollegin“ macht artig Diener oder
Knicks, denkt sich im Stillen: „Boah, da hab ich jetzt aber mal abgesahnt“ und
eilt mit der Bananenkiste nach Hause, bevor der edle Spender es sich womöglich
anders überlegt!
Die Köder
Beim
Auspacken stellt man, wenn es nicht die erste Kiste ist, fest, dass solche
Bücherkisten meist unter Marketinggesichtspunkten äußerst geschickt gepackt
sind:
In der obersten Schicht, auf die man schon beim Empfang durch das
Bananenkisten eigene Deckelloch ein Auge geworfen hat, liegen die Appetizer:
Das können Klassiker der exegetischen Literatur wie zum Beispiel Käsemanns
„Exegetische Versuche und Besinnungen“ sein (von besagten älteren Kollegen gern
unter Hinweis, man habe ja noch selbst bei Käsemann studiert, scherzhaft als „Exegetische
Besuche und Versinnungen bezeichnet), von denen man im Hinterkopf hat, dass
dort ein-zwei vielleicht etwas veraltete, für die Theologiegeschichte aber doch
bedeutsame Aufsätze drinstehen, die zu Hause zu haben auf keinen Fall schaden
kann. Und sei es, um im nächsten neutestamentlichen Seminar betont nonchalant
den dunkelweißen Wälzer auf den Tisch zu knallen und ein bisschen theologische
Kultur gegenüber den Kommilitonen zu demonstrieren, die nur in Aufsatzkopien
herumtextmarkern. Oder um sie einfach im Regal stehen zu haben und sich von
Zeit zu Zeit daran freuen und sich selbst der eigenen Belesenheit versichern zu
können.
Nebenbei: Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass das feste Fassen eines guten
Vorsatzes bereits dieselbe Menge an Glückshormonen freisetzt wie die
tatsächliche Umsetzung - deswegen fühlt man sich gleich um Einiges fitter und
schlanker, wenn man aus einer Schublade die member card seines Fitnessstudios
herausgekramt und ins Portmonee gesteckt hat, damit sie dort griffbereit liegt
und man direkt am nächsten Morgen so richtig durchstarten kann.
Vielleicht
liegt dieses biochemische Prinzip auch dem in Theologenkreisen so verbreitete
Habenwollen von Büchern zugrunde, wer weiß das schon? Ich habe nicht nur den
Käsemann im Regal stehen, ich habe sogar die profunde Absicht, „ihn“ in
absehbarer Zeit nicht nur zu lesen, sondern gewissenhaft durchzuarbeiten und
ihn womöglich mit einigen neueren Ansätzen ins Gespräch zu bringen. Sobald mal
wieder „ein bisschen Luft“ ist, denn Muße und Konzentration soll schon sein,
wenn man sich solche Klassiker einverleibt. Und schon verfügt man zumindest
über ein gefühltes Höchstmaß an theologischer Literaturkenntnis, weil das
tatsächliche Lesen ja nur noch der letzte, abschließende Schritt in einem groß
angelegten Bildungsprojekt ist, also eher Kür als Pflicht.
Und
so wandern mehrere Bände der ersten Schicht literarischer Schmankerl aus der
Bananenkiste ins Bücherregel, dem ihre angegrauten Leineneinbände den nötigen
Touch von Traditionalität und theologischer Echtheit verleihen.
Die praktische Masse.
In
der zweiten Schicht der Bananenkiste liegt theologische Gebrauchsliteratur –
Predigtmeditationen, Unterrichtsentwürfe, Liederbücher, Gebetsbücher,
Konfirmandenkurse, all das, was den pastoralen Alltag ein bisschen händelbarer
machen kann. Obwohl die meisten dieser Praxishilfen aus der zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts stammen, ist das Medienaufgebot beachtlich: Ganze Mappen
voll bunter (!) Overheadfolien (für den in manchen kirchlichen Kontexten noch
so bezeichneten und tatsächlich noch vorhandenen „Tageslichtschreiber“) und
Kartons voll Diaserien: „Kunst zur Bibel“, „Das Heilige Land“ und so Manches
mehr. Dem Diakarton beigefügt ist ein vom Vorbesitzer mit großer Akribie
angefertigtes Stichwortregister, und weil der Kopf vor lauter Glückshormonen
noch ganz warm ist (wir erinnern uns: Käsemann) und manche dieser Dias durchaus
interessante Motive versprechen, die man bei Gelegenheit für wenig Geld in
jeder Drogerie digitalisieren lassen und damit eine Powerpoint vergolden kann,
wandert auch diese Abteilung ins Regal. Schon allein aus Forscherinteresse:
Denn auch, wenn man die handgemalten Lieder aus Büchern wie „Eine Wiese voll
bunter Blumen – fetzige Lieder für eine gerechtere Welt“ natürlich nie selbst
singen, geschweige denn eine postmoderne Jugendgruppe damit traktieren würde, so
ermöglichen sie doch interessante Einblicke in die Mentalitätsgeschichte
kirchlicher Milieus vergangener Jahrzehnte.
Der Rest.
In
der dritten Schicht schließlich liegen, unter den Appetizern und der praktisch
verwertbar anmutenden Gebrauchsliteratur verschämt verborgen, solche Bücher,
zum Teil neueren Datums, die man zur Genüge kennt: Es sind diejenigen
Druckerzeugnisse, die in den Sachbuchbestsellerlisten unter dem Stichwort
„Religion“ geführt werden, die Einem von wohlmeinenden Verwandten zu
Weihnachten geschenkt werden mit dem Hinweis: „Du beschäftigst dich doch mit so
was“, oder die man selbst in umnachteter Stunde in einer Bahnhofsbuchhandlung
gekauft hat, weil man nichts zu Lesen, dafür aber drei Stunden Aufenthalt in
Hagen hatte und den wahnwitzigen Einfall, man könne ruhig einmal in die Hand
nehmen, was Ottonormalverbraucher so alles unter „Religion“ versteht. In dieser
letzten Schicht liegen sie alle, Bruder Paulus, Hans Küng, Anselm Grün und Jürgen
Fliege. Dazwischen: Verschwörungstheoretisches zu Geheimbünden der
Kirchengeschichte und Zahlencodes biblischer Schriften und Postkartenbüchlein
mit Landschaftsaufnahmen und irischen Segenswünschen, leider angekratzt und
nicht mehr zum Weiterverschenken geeignet.
Beim
Sichten dieser letzten Schicht haben sich die Käsemann‘schen Glückshormone
bereits verflüchtigt, und man ahnt, dass die Bananenkiste mitnichten das vom
Herzen abgerungene Geschenk eines edel gesinnten älteren Amtsbruders war, der
sich mit dem theologischen Nachwuchs solidarisiert und mit ihm den Schatz
theologischen Wissens teilt. Es ist vielmehr anzunehmen, dass der
Haushaltsvorstand jenes emeritierten Kollegen nach fünfzig Jahren treuen
Pfarrfrauendaseins die Nase voll und zu wenig Platz hat und ihrem Mann eines
schönen Sonntagmorgens irgendwann nach Trinitatis beim Frühstück mitteilt, dass
man nach mittlerweile zehn Jahren in Rente kein Arbeitszimmer mehr bräuchte,
sie aber sehr gern endlich das seit langem versprochene Bügelzimmer hätte und
er sich nun bitte um eine Entschlackung der diesem Plan im Wege stehenden
Bücherregale kümmern möge. Weil man als Theologe, vor allem nicht als Deutscher
angesichts unserer Geschichte, um keinen Preis der Welt Bücher einfach wegwerfen
würde, und weil kein Antiquariat der Welt für eine solche Sammlung auch nur die
Versandkosten übernehmen würde, liegt es also am nächst greifbaren
Theologiestudenten, die Vikarin oder an einem jüngeren Kollegen, in einem Akt
amtsgeschwisterlicher Demut diese Last an sich zu nehmen.
Also
legt man die letzte Schicht zurück in die Bananenkiste, legt noch ein bisschen
eigenen Überschuss dazu und lässt die Kiste im Keller. Bis zum nächsten Umzug.
Wo man dann feststellt, dass man zu viel Kram hat. Und so nimmt man die
halbvolle Bananenkiste mit der Seelenwellnessliteratur. Legt ein bisschen
religionspädagogische Gebrauchsliteratur aus den Siebzigern drauf, den ganzen
Kram, den man im Laufe der Zeit irgendwo angesammelt hat. Hängt an einem von Theologiestudierenden häufig frequentierten schwarzen Brett einen entsprechenden Zettel aus. Und fühlt sich schäbig. Aber vor dem inneren Auge sieht man
den älteren Kollegen, der anerkennend nickt und schnarrt: „Bruder, Sie sind
bereit, diesen Talar zu tragen.“ Und seine Frau steht in ihrem Bügelzimmer und
lächelt.
Ja, ja, da steckt viel Wahres drin - in jeder Lage des Bananenkastens! Und natürlich auch in der Betrachtung.
AntwortenLöschenLeider hat sich der akademische Distinktionsgewinn (Bourdieu uns so) von Büchern im Regal ja elektronisch verflüchtigt. Doch es bleibt der energetische Gewinn, wenn man sie an die Außenwand stellt!
Aud Dias lasse ich aber nichts kommen - aus Restbeständen einer westfälischen Mediothek habe ich jetzt alle Weinachtsbetrachtungen erhalten - das reicht für alle Heiligabend- Gottesdienste bis zur Rente. Und was freuen sich die Alten über die Reminiszens an vergangene Zeiten und auch die Jugend schaut fasziniert auf die Medien vergangener Jahrhunderte ...
Hallo Bücherwurm und danke für den Kommentar!
AntwortenLöschenMein Ausbilder im Predigerseminar meinte, das pastorale Bücherregal sei nicht so sehr Mittel der Distinktion, sondern sichtbarer Ausweis der eigenen Professionalität.
Und selbst, wenn die Bücher drin bleiben, finde ich auch den haptischen und optischen Gewinn nicht zu verachten - über die Buchrücken streichen und leise zufrieden brummen...
An den unlängst aufgelösten Diabestände der Mediatheken haben sich wohl so einige bereichert - ich warte auf ein Revival des Mediums! In ein paar Monaten geht dann der Run auf die noch verbliebenen Diaprojektoren los...