"Sie haben aber reizende Kinder! Wie alt sind die denn?"
"Der Anwalt ist vier, und die Ärztin wird sieben."
- Jüdischer Witz.
"Du, weißt du was?"
Eine piepsige Stimme reißt mich aus den Gedanken, als ich nach dem Kindergottesdienst in der Sakristei meine Siebensachen zusammenpacke. Die Stimme gehört Anton, einem vorwitzigen Viertklässler, der fast jede Woche irgendwo in der Mitte sitzt und jetzt im Türrahmen steht.
"Da ist ja der Seehund", kommentiere ich, und Anton grinst stolz. Noahs Arche, das war heute das Thema, und beim gemeinsamen Versuch, die Geräuschkulisse beim Beladen der Arche möglichst realistisch darzustellen, hat Anton in dieser selbst gewählten Rolle sogar die zahlenmäßig deutlich überlegenen Elefanten akustisch in den Schatten gestellt.
"Weißt du was?" fragt er nochmal. Als ich den Kopf schüttele, sprudelt es aus ihm heraus:
"Wenn ich groß bin, will ich auch mal Pfarrer werden!" erklärt er aufgeregt.
In mir drin wird es warm. So ein gutes Kind. Obwohl, nee, eigentlich... Eigentlich denke ich etwas anderes: Yes! Es lohnt sich also doch! Traumreisen zum See Genezareth, Bibliologe, in denen wir alle als Jünger berufen werden, Speisung von fünftaus... oder eher fünfzig Kindern mit Fischstäbchen und Foccaccia, Wettrennen zum Grab Jesu, Predigtbattle über das Thema "Taufe" - die Kindergottesdienste des vergangenen Jahres rauschen an mir vorbei, vermischen sich in Gedanken mit solchen, die noch ausstehen: Das Fensterkreuz an der Front müsste doch massiv genug sein für die Befreiung des Paulus, und ein Korb wird sich auch finden lassen..? Meine Fantasie macht Luftsprünge ob all der Möglichkeiten und Chancen ganzheitlicher Methoden, zumal unter meiner professionellen Anleitung, deren Wirksamkeit mir Anton doch gerade auf so ergreifende Weise bestätigt hat.
"Hey, ich hab dich was gefragt!" Ungeduldig zupft Anton mich am Ärmel und holt mich von den pädagogischen Höhenflügen zurück in die Sakristei.
"Sorry... was denn?"
"Weißt Du auch, warum?" fragt er, offensichtlich zum zweiten Mal.
In Gedanken nicke ich. Natürlich. Weil du hier erleben durftest, wie die Geschichten und Gestalten der Bibel lebendig wurden, dass auch du mit deinem noch so kurzen und kleinen Leben, deinen Höhe- und Tiefpunkten, deinen Fragen und Gedanken hier ernst genommen wirst. Weil du gelernt hast, dass Glauben Spaß machen und dem Leben Perspektive geben kann.
Aber natürlich schüttele ich den Kopf.
"Nein, warum denn?"
Anton macht es spannend, macht eine dramatische Pause. Dann erklärt er stolz:
"Weil man dann auch als Erwachsener noch ganz viel Quatsch machen darf!"
Und rennt raus.
Ich bleibe mit offenem Mund zurück. Kleiner Ignorant! "Quatsch", das sagen beratungsresistente ältere Kollegen, wenn man ihnen im Pfarrkonvent anbietet, mit ihnen Bastelmaterial zu tauschen, ihnen die Zugangsdaten für Online-Spieledatenbanken zu geben oder ihre Overheadfolien in Powerpoints umzuwandeln und so ihren Konfirmandenunterricht wenigstens ein bisschen zu pimpen. "Quatsch", das denkt sich vielleicht unsere Gemeindesekretärin, während sie meine Teilnahmebescheinigung für die Fortbildung Ecclesia ludens - praktische Theologie und theologische Praxis des Spiels an die Superintendentur faxt.
Missmutig nehme ich meine Sachen und gehe durch die Kirche hindurch zur Eingangspforte. "Quatsch... von wegen", brumme ich missmutig vor mich hin, als ich die Tür von außen abschließe. Draußen auf dem Parkplatz vor der Kirche steht der Stadtjeep von Antons Mutter. Sie hockt vor der hinteren Seitentür, aus der zwei dünne Beine herausgucken, die sie in Stulpen quetscht. Beiläufig nickt sie mir zu, dann stöhnt sie genervt auf. "Jetzt macht voran, du musst zum Training", ruft sie in den Wagen hinein. Stimmt, Fußballtraining, das hatte Anton mal erzählt, immer sonntags nach dem Kindergottesdienst. Und Cellounterricht. Oder war es Klavier? Oder gar beides? Japanisch hätte er jetzt auch lernen sollen, "wegen der Entwicklungen auf dem Weltmarkt", wie seine Mutter bei einem Gespräch erklärte, aber dem hat eine Drei in Mathe ein Ende gesetzt, wegen der er privaten Förderunterricht erhält. "Bei einem promovierten Mathematiker", so versicherte seine Mutter, "wenn schon, denn schon, und was Hänschen nicht lernt..."
Als ich im Auto sitze, sage ich noch einmal leise: "Quatsch." Und frage mich, wie viel Raum in Antons Woche dafür ist, wie oft er und die anderen neunjährigen Multitasker aus seiner Klasse einfach nur Seehund sein oder in Gedanken Steine über die Oberfläche des Sees Genezareth flitschen lassen dürfen.
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