„Gut, dann mach’s mal gut“,
sagt die Stimme am Telefon. „Ja, du auch, und bis bald einfach“, erwidere ich,
stehe vom Schreibtisch auf und gehe Richtung Flur, bereit, das Telefon zurück
auf die Basis zu stecken und anderen Dingen nachzugehen. Doch der Mensch am anderen Ende der Leitung ist doch noch nicht fertig: „Ja, tschüss… ach,
bevor ich’s vergesse, hast du eigentlich…“ Etwas genervt halte ich das Telefon
wieder etwas fester ans Ohr und höre mir an, was ‚eigentlich‘ noch zu klären
wäre.
Kennt Ihr das? Nervt Euch das?
Dachte ich mir.
Aber dann erkläre mir doch
bitte mal jemand, warum wir im Gottesdienst unbedingt beim Orgelnachspiel sitzen
bleiben sollen. Als Disclaimer vorneweg: Ich will keinem Kirchenmusiker die
Butter vom Brot nehmen, ich habe hohen Respekt vor den Möglichkeiten, einen
Gottesdienst durch eine durchdachte und professionelle musikalische Gestaltung
zu bereichern. Wohlgemerkt: Durchdacht. Und das ist der Punkt.
Ein guter Gottesdienst
hat einen erkennbaren Spannungsbogen. Und hier ist es egal, ob man sich
am oberdeutschen Prädikantengottesdienst oder an der Messfeier orientiert: Ich
werde empfangen, kann ablegen, bekomme das gesagt, was ich mir selbst nicht
sagen kann. Höre Worte aus der Bibel, die in der Predigt ausgelegt für mein
Leben Bedeutung gewinnen. Stärke mich gemeinsam mit anderen an Brot und Wein, nehme
die Welt ins Gebet und werde unter dem Zuspruch von Gottes Segen und Geleit in
die Woche entsandt. Es geht rein, und es geht wieder raus.
Am Ende steht der Segen, die
Zusage: Gott ist mit Dir – aber: dieser Segen ist eben „nicht Selbstzweck,
sondern Sendung“ (Hellmut Gollwitzer). Mancherorts ist eine entsprechende
liturgische Formel vor oder nach dem Segen üblich. Sehr sympathisch sind mir
die in diesem Fall einmal erfreulich wortkargen und konzentrierten Katholiken:
„Ite, missa est“, frei und etwas mutwillig übersetzt: „Ab mit euch, ihr
habt euren Auftrag.“ Ich selbst verwende eine etwas längere Variante aus der Reformierten Liturgie in Anlehnung an Jesaja 35:
Stärkt die müden Hände
und macht fest die wankenden Knie,
sagt denen, die verzagten Herzens sind:
Fürchtet euch nicht!
Seht, euer Gott ist da;
er kommt und wird euch helfen.
Darauf folgt direkt der
Segen. Die Gemeinde wird mit dem ausgestattet, was sie braucht, um den „Gottesdienst
im Alltag“ (Ernst Lange) weiter zu feiern, um in der Welt für ihren Glauben
einzustehen, und sie hat hoffentlich sogar das Bedürfnis oder zumindest das
Gefühl einer Berufung, das Gehörte umzusetzen und weiterzusagen.
Dieser Spannungsbogen wird
jäh unterbrochen, der positive Handlungsimpuls gedämpft, ein notwendiger
Abschied unnötig herausgezögert, wenn ich mich, nachdem ich zur Sendung gerufen
wurde und den Segen empfangen habe, erst einmal wieder hinsetze und brav dem
Orgelnachspiel lausche. Dadurch aber wird die gottesdienstliche Musik zum
bürgerlichen Hauskonzert degradiert, dadurch wird der Eindruck verstärkt, beim
Gottesdienst ginge es in erster Linie um eine (vielleicht sogar geliebte)
soziale Verpflichtung, brav zuzuhören. Die Gemeinde wird in ihren Impulsen
gehemmt und der liturgiegeschichtliche Zusammenhang aufgelöst: Denn historisch
betrachtet hat gottesdienstliche Instrumentalmusik eine Funktion, sie untermalt
die Prozession, den Ein- und Auszug der liturgisch Handelnden.
Hans-Peter Braun schreibt in
einer Replik an Martin Nicol, der ähnliches feststellt:
Das Orgelnachspiel begleitet den Gang über die Schwelle nach draußen. Das muss nicht dadurch geschehen, dass ich aufstehe und hinausgehe. Es kann meiner Erfahrung nach auch im Sitzen ein „hörendes Hinausgehen“ geben, eine Art Schutzzone, eine akustische Schwelle zwischen drinnen und draußen, die ich nach dem Segen überschreite, eine heilsame Verzögerung, bevor mich draußen wieder die Brandung der Worte umgibt.
Den Gedanken einer
akustischen Schutzzone finde ich wichtig, aber diese ist auch gegeben, wenn ich
mich währenddessen zum Ausgang bewege. Noch mehr: Sie bietet mir die
Möglichkeit, mich im akustisch geschützten Raum vielleicht mit einer
Banknachbarin über das Gehörte auszutauschen. Eine Verzögerung erkenne ich
auch, aber ich halte sie nicht für heilsam, sondern für hinderlich und für
potenziell pathologisch, denn die Rede von einer Schutzzone leistet einem
Gottesdienstverständnis Vorschub, das den Gottesdienst als eine Wellnessoase,
eine Insel der Glückseligen sieht, um die der postmoderne Alltag brandet. Dass
solche Aspekte eine Rolle spielen, soll damit nicht in Abrede gestellt werden,
aber es ist doch zu fragen, ob es den Kern wirklich trifft, wenn wir Mission
durch Meditation ersetzen, statt sie zu ergänzen, und das still und heimlich –
denn ich unterstelle, dass in den meisten Gemeinden das eigentlich Ausschlag gebende
Argument für das Sitzenbleiben beim Orgelnachspiel ist: „Haben wir immer so
gemacht!“
Ich habe durchaus Sympathien
für den Wunsch nach einem Raum jenseits der „Brandung der Worte“, nach der
Möglichkeit, das Gehörte einsinken zu lassen und meinen eigenen Gedanken nachzuhängen.
Pädagogisch gesprochen handelt es sich dabei um eine Vertiefung, die kann
innerhalb wie außerhalb des Unterrichts stattfinden – aber bitte nicht, nachdem
schon der Gong zur Pause geläutet hat. Im Gottesdienst kann dieser Punkt eine
Orgelmeditation nach der Predigt sein, das bietet auch der Kirchenmusikerin die
Möglichkeit, das Gesagte zu kommentieren. Der Verkündigungscharakter der
Kirchenmusik käme so deutlicher zum Ausdruck.
Was sagt Ihr?
Ich kenne es eigentlich so, dass es speziell angesagt wird, wenn man zum Nachspiel noch bleiben soll. Für ein besonderes Stück finde ich das auch in Ordnung, der Normalfall ist aber für mich schon, dass mit dem Segen der Gottesdienst beendet ist.
AntwortenLöschenAuch vom Posaunenchor aus sehe ich das so. Nach dem Segen ist man freier in der Auswahl der Stücke, weil man sich sozusagen außerhalb des Protokolls befindet. Ich fasse es auch nicht als Missachtung auf, wenn die Leute dann gehen. Wir Bläser haben allerdings auch einen Lautstärkevorteil, so dass man uns auch beim Gehen noch hört.
Das finde ich spannend, weil bei FB aus evangelischer Perspektive gerade die "Ungleichbehandlung" etwa von Chor und Orgel bemängelt wurde.
LöschenStimmt, Bläser haben den großen Lautstärkevorteil, den sonst eigentlich nur die Orgel hat ;-)